Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
Auch weil wir bis vor kurzer Zeit nicht nach Norden, sondern nach Osten gefahren sind.«
»Das habt ihr gemerkt, wie? Nein, wir sind noch nicht in Venedig. Ich bringe euch dorthin, aber zuerst brauche ich eure Hilfe.«
»Wofür?«
»Die Festung von Rimini. Ich nehme an, ihr habt davon gehört.«
»Nein.«
»Soll das heißen, das mächtige Reich des Vatikans schenkt den Vorgängen an seinen Grenzen keine Beachtung?«
Durand verzichtet auf eine Antwort.
»Rimini war schon ein Sündenpfuhl, bevor Gott uns mit Seinem Feuerregen bestrafte. Der Strand war ein Zentrum des Lasters, eine Hymne an das Dämonische. Jeden Sommer wurde er zum Treffpunkt der Jugend, die dort den vergänglichen Idolen des Vergnügens huldigte. Sie tanzten bis zur Erschöpfung, nahmen Drogen, tranken Alkohol, verkauften ihre Körper und trieben Missbrauch damit.«
Gottschall schüttelt den Kopf.
»Und mit einem direkten Bezug zum Hier und Heute: Rimini war so unverschämt, mich vor einem Monat zurückzuweisen. Ich habe einen Botschafter entsandt, und diese Barbaren schickten mir seinen Kopf zurück.«
Er ist so dreist, andere Barbaren zu nennen, dieser Mann, der skrupellos genug ist, eine wehrlose Frau zu blenden und zu verstümmeln, denke ich.
»Was wollen Sie von uns?«, fragt Durand.
»Hilfe. Wenn ihr eure Feuerkraft der unsrigen hinzufügt, könnte das den Ausschlag geben.«
Durand mustert Gottschall einige Sekunden lang.
»Versucht ihr es zum ersten Mal?«
»Was meinen Sie?«
»Versucht ihr zum ersten Mal, euch gewaltsam Zugang zur Stadt zu verschaffen?«
Gottschall runzelt die Stirn.
»Nein, es ist nicht das erste Mal.«
»Und bei den anderen Gelegenheiten? Wie ist es gelaufen?«
Gottschall schnaubt.
»Schlecht. Die Mistkerle haben uns abgewehrt. Deshalb …«
»Wie viele Männer haben Sie bei den Versuchen verloren?«
Der Bärtige antwortet nicht.
Durand lässt nicht locker. »Wie viele?«
»Zwölf. Die Hurensöhne hatten ein verdammtes Maschinengewehr. Aber jetzt steht es ihnen nicht mehr zur Verfügung. Wir haben es zerstört.«
»Sind Sie sicher?«
»Na klar. Außerdem rechnen sie nicht mit einem Angriff. Haben Sie den Nebel gesehen? Und es ist Tag. Bestimmt schlafen sie alle, abgesehen von einigen Wächtern. Wir können sie überraschen.«
Hauptmann Durand antwortet nicht. Er überlegt eine Weile.
Dann schüttelt er den Kopf.
»Es ist nicht unser Krieg. Ich sehe nicht ein, warum ich mein Leben und das meiner Männer für diese Sache riskieren sollte. Außerdem ist menschliches Leben sehr selten geworden. Es auszulöschen ist heute mehr als jemals zuvor ein schweres Verbrechen.«
Gottschall kneift die Augen zusammen.
Und lächelt.
Aber es ist kein beruhigendes Lächeln.
»Sie haben recht, Hauptmann. Leben ist selten und kostbar. Das Leben von Männern und Frauen. Da fällt mir ein … Ich habe Doktor Lombard schon seit einer ganzen Weile nicht mehr gesehen. Haben Sie eine Ahnung, wo sie steckt? Nein? Ich schon. Und ich habe nicht nur eine Ahnung, sondern Gewissheit …«
»Du …«
»Sie glauben doch nicht, dass ich einfach so sieben Fremde an Bord nehme, ohne eine Art Sicherheitspfand zu haben, oder?«
»Wenn du ihr auch nur ein Haar gekrümmt hast …«
»Ach, hören Sie auf mit den leeren Drohungen, Hauptmann. Derzeit sollten Sie mich besser nicht verärgern. Erlauben Sie mir außerdem den Hinweis, dass Ihre Männer nur mit Messern bewaffnet sind, während meine automatische Gewehre haben.«
Gottschall lächelt erneut. »Ganz abgesehen davon, dass sich Doktor Lombard in unserer Gewalt befindet«, fügt er hinzu.
Durand ballt die Fäuste.
»Dafür werden Sie bezahlen.«
»Oh, seien Sie unbesorgt. Ich bezahle meine Schulden immer. Und jetzt … Meine Männer geben Ihnen Ihre Waffen. Es wartet Arbeit auf uns.«
Mich erstaunt die Ruhe, mit der sich die Schweizergardisten auf den Kampf vorbereiten. Männer ohne Glauben, oder mit einem Glauben, den ich nicht verstehe, jeder von ihnen anders. Aber eines vereint sie: Jeder von ihnen glaubt an seine eigenen Fähigkeiten und an eine gut geölte Waffe.
Ich beobachte, wie sie die Maschinenpistolen stumm und mit wenigen Handgriffen auseinandernehmen und wieder zusammensetzen. Es scheint ein Ritual für sie zu sein, eine Art Gebet.
Ich bin kein Mann der Waffen und kann nur wenig tun. Deshalb ziehe ich mich in eine Ecke zurück. Ich kauere mich auf dem Boden zusammen, um mich vor der Kälte zu schützen – und vor einer Furcht, die mir noch kälter
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