Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
Mario … Mario ist ein Versager, ein Alkoholiker. Nur Patrizio hat etwas von meinem Mumm geerbt. Ich wette, er setzt sich durch, was vermutlich bedeutet, dass die anderen beiden auf dem Misthaufen landen.«
Das waren die einzigen Worte, die der Sterbende für seine beiden anderen Söhne übrig hatte? Was war dies für ein Mensch?
Er richtete einen ironischen Blick auf mich.
»Ich weiß, was du denkst. Du hältst mich für einen schlechten Vater. Ein liebevoller Vater bin ich. Alle meine drei Söhne habe ich auf den Knien gehalten und sie gelehrt, was ich weiß. Ich mag sie alle, ohne Ausnahme. Aber ich bin das Oberhaupt dieser Gemeinschaft und muss an ihr Wohl denken. Und ihr Wohl heißt Patrizio. Er muss den Sieg erringen. Er ist ein Psychopath und Sadist, aber er weiß, wie man regiert. Er wird euch ein gutes neues Oberhaupt sein.«
Als ich nicht antwortete, schnaufte der Alte verärgert.
»Was ist, Priester? Was ist los mit dir? Bist du vielleicht enttäuscht, weil ich keine Letzte Ölung will? Weil ich nicht beichte, nichts bereue?«
»Ich frage mich, warum Sie mich hierher geholt haben.«
»Ich habe es dir bereits gesagt: Es war ein Moment der Schwäche. Aber da du schon einmal hier bist … Sieh dich um. Hier gibt es viel für dich zu lernen.«
Seine Stimme wurde immer mehr zu einem trockenen Krächzen.
Eine Flasche stand auf dem Boden. Ich hob sie, aber der Alte winkte ab.
»Stell sie wieder hin. Ich habe keinen Durst. Hör mir zu, denn mir bleibt nicht viel Zeit. Du bist ein intelligenter Bursche. Sieh dich um. Warum stirbt der mächtigste Mann dieser Gemeinschaft in einem so armseligen Zimmer? Hast du dich das nicht gefragt?«
»Ja.«
»Und hast du eine Antwort?«
»Nein, habe ich nicht.«
»Dann gebe ich sie dir. Dies wird mein Grab sein. Wenn ich tot bin, wird der Eingang geschlossen und eine hübsche Gedenktafel angebracht. Ich bin hier bei uns der erste Patriarch, der stirbt. Das hat mich auf die Idee gebracht. Nicht schlecht, oder? Ich mache es wie bei den Päpsten im Vatikan. Wer weiß? Hier gibt es so viele heilige Knochen, dass vielleicht ein bisschen von der Heiligkeit auf mich abfärbt. Was meinst du, Priester? Es wäre ein toller Witz. Kardinal Albani, die Nummer Eins der Kirche, kommt ins Paradies, und wen trifft er dort an? Den verdammten Hurensohn von Alessandro Mori! Ach, was für ein Witz!«
Er ließ mich los und legte die Hand aufs Bett.
Als der Alte erneut sprach, klang seine Stimme viel ernster.
»Ich habe keine Ahnung, was mich nach dieser Welt erwartet. Vielleicht das Nichts. Vielleicht gibt es nach dem Leben gar nichts, und das, was ihr Pfaffen zweitausend Jahre lang erzählt habt, ist nur ein Riesenhaufen Unsinn.«
»Was glauben Sie? Was erhoffen Sie sich?«
Moris Antwort kam nach langem Schweigen.
»Ich hoffe, dass es etwas gibt. Irgendetwas. Das ist immer noch besser als nichts. Und jetzt … Na los, tu deine Arbeit. Hol Stola und heiliges Öl hervor und mach, was du machen musst. Das heißt … Du brauchst bei mir kein Öl zu vergeuden. Es ist die Mühe nicht wert. Es kommt in erster Linie auf das Symbol an, nicht wahr?«
»Sie sind das Oberhaupt. Einen Tropfen Öl sollten wir für Sie erübrigen können.«
»Also gut. Dann los. Geben Sie mir den Pass fürs Himmelreich.«
Ist Mori jetzt tatsächlich im Himmel?
Wartet er mit seinem arroganten Lächeln am Eingang des Paradieses?
Es wäre tatsächlich ein Witz, und ein ziemlich schlechter dazu. Ich glaube an einen barmherzigen Gott, aber ich kann mir den Mörder namens Mori nicht im Himmel vorstellen, zusammen mit seinen Opfern.
Eins steht fest: Hier auf der Erde ist Alessandro Mori jetzt jenen nahe, die er umgebracht hat. Kurz nach seinem letzten Atemzug haben sie ihn nach draußen gebracht. Von wegen monumentales Grab mit Gedenktafel. Ein namenloses Loch beim Misthaufen hat er bekommen, bei den verfaulten Leichen seiner Opfer.
In dem Korridor, der zur Kathedrale führt, begegne ich Bune.
Er geht krumm, an die Wand gestützt.
»Karl!«, rufe ich.
Er dreht sich um.
»Kann ich dich sprechen?«
Er zuckt die Schultern.
Ich schließe zu ihm auf, und gemeinsam betreten wir den großen leeren Raum. Diesmal habe ich eine Taschenlampe mitgebracht.
»Das Licht des Evangeliums?«, spottet Bune. »Ihr seid das Licht der Welt. Es mag die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter, so leuchtet es denen
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