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Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tullio Avoledo
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gesprochen hast, Hauptmann, die Worte aus der Bibel. Sie waren genau richtig. Stark und richtig. Aber ich denke auch, dass Jegor ein Gebet seines Glaubens gefallen hätte. So wie es mir gefallen würde, mit den Worten und Ritualen meines Glaubens verabschiedet zu werden, wenn es so weit ist. Wenn ich … Na, ihr wisst schon.«
    Durand antwortet nicht sofort.
    Schließlich seufzt er. »Natürlich. Du hast recht. Wenn Pater Daniels nichts dagegen hat …«
    Ich erinnere mich an den Wasserturm außerhalb von Rom und an das von Durand durchgeführte heidnische Ritual. Der neue Durand, der den Psalm gesprochen hat, hatte mich jenen sonderbaren Zwischenfall fast vergessen lassen.
    Ich möchte Einwände erheben, aber diese Männer wandeln wie ich im Tal der Schatten des Todes.
    »Nein, ich habe nichts dagegen.«
    Durands Stimme bekommt einen fast hypnotischen Klang, als er sagt:
    »O ihr Hüter der Ordnung, deren Gesetze für immer heilig sein werden, am höchsten aller Himmel steigt euer Wagen auf …«
    Fasziniert höre ich den Worten zu, die aus dem Dunkeln kommen und einem vergessenen Gott huldigen.
    »Der Retter wird kommen und die Toten wecken. Er wird den Stier Hatayosh töten und mit diesem Opfer die Toten auferstehen lassen. Aus dem Fett des Tiers und aus dem weißen Soma wird der Retter den Trank der Unsterblichkeit brauen und ihn allen Menschen geben, auf dass sie unsterblich werden …«
    Sind sie heidnisch, diese Worte? Zweifellos.
    Sind es Heiden, die sie sprechen? Da bin ich mir nicht so sicher.
    In der Bedeutung der Worte erkenne ich Dinge wieder, an die ich selbst glaube: Gerechtigkeit, ein Leben nach dem Tod …
    Ich höre den Singsang der Männer, schließe die Augen und schlafe ein, im Stehen.
    Es vergehen mehr als sechs Stunden, bis wir Schritte im Flur hören.
    Die Tür öffnet sich.
    Das Licht einer Taschenlampe blendet uns.
    Es sind drei, mit automatischen Gewehren bewaffnet.
    Im hellen Schein der Lampe kneifen wir die Augen zusammen und heben den Arm vors Gesicht.
    »Kommt heraus! Das Fest beginnt. Kann der Verletzte gehen?«
    »Ja.«
    »Gut für ihn. Los, beeilt euch.«
    Zuerst hören wir die Trommeln, deren dumpfes Pochen immer näher kommt. Ihnen gesellt sich der Klang von Blasinstrumenten hinzu: Flöten, Saxofone, die zarten, hellen Töne einer Klarinette.
    Es ist keine besonders graziöse Musik, aber es mangelt ihr nicht an einer gewissen Kraft. Es ist eine Musik, die Tanzwilligen in die Füße fährt und sie gleichzeitig schaudern lässt.
    »Sind diese Leute komplett übergeschnappt?«, fragt Diop und macht große Augen. »Sie gehen nachts hinaus und machen einen solchen Lärm?«
    Wenzel deutet auf die Scheinwerfer. »Was habe ich euch gesagt?«
    Durand nickt und beobachtet unsere beiden Hummer. Auf ihren Motorhauben sitzen Bewaffnete.
    Niemand trägt eine Gasmaske. Abgesehen von den Frauen und Kindern aus der Festung, die bewacht in einer Ecke sitzen, gibt es viele Personen, die ich zum ersten Mal sehe.
    Mittelpunkt des Festes scheint der Haufen aus brennbarem Material zu sein, den wir für die Toten zusammengetragen haben. Zwei Pfähle ragen oben aus dem Haufen, der im Lauf des Nachmittags noch größer geworden ist. Der Geruch von Heizöl liegt in der Luft.
    »Das verheißt nichts Gutes«, murmelt Diop.
    »Still!«, knurrt einer der Wächter und rammt ihm den Kolben seines Gewehrs zwischen die Schulterblätter.
    Die Männer weisen uns an, in der ersten Reihe Platz zu nehmen.
    Wenzel und Diop stützen Karl Bune, der sich alle Mühe gibt, wach zu bleiben. Trotzdem fallen ihm immer wieder die Augen zu, und dann sinkt ihm das Kinn auf die Brust. Er hat hohes Fieber.
    Durst brennt in mir.
    Eine Zeit lang sitzen wir da, während Gottschalls Anhänger im Licht des Feuers tanzen, immer wieder schreien und die Arme heben und senken, wie bei einer Welle in einem Stadion.
    Der Trommelschlag wird schneller, und das gilt auch für die Klänge der Blasinstrumente, die fast etwas Schrilles bekommen. Die Tanzenden atmen schwer, sie schnaufen und keuchen, und ihr kondensierender Atem vereint sich zu gespenstischen Formen.
    Als Lärm und Durcheinander ihren Höhepunkt erreichen, teilt sich die Menge, und Gottschall tritt auf den offenen Platz.
    Es ist ein triumphaler Auftritt. Seine Anhänger stimmen Jubelschreie an. Auch die blinde junge Frau, die mir beim Verlassen der Kathedrale geholfen hat, ist da, sie singt und tanzt mit den anderen. Den Kopf hält sie hoch erhoben, und die leeren Augenhöhlen in ihrem

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