Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
Gesicht kommen mir wie tote Mondkrater vor.
Diesmal trägt Gottschall nicht seine Rüstung, sondern eine schwarze Tunika, die ihm bis zu den Füßen reicht und mit Dutzenden von goldenen Kreuzen verziert ist. Das geölte Haar ist zurückgekämmt, und eine goldene Krone schmückt sein Haupt. Offenbar soll sie die Dornenkrone nachbilden, die Jesus getragen hat – eine echte Gotteslästerung.
Gottschall hebt die Arme, und sofort wird es still.
»Mein Volk, Gottes Volk, hör mir zu! Heute hat uns der Herr einen großen Sieg über unsere Feinde geschenkt, einen Sieg, für den wir Ihn ewig preisen werden! Gott hat uns diese Stadt gegeben, die Stadt namens Rimini! Von heute an wird es auf unseren Tischen reichlich Fisch und Salz geben. Denn die Hand des Allmächtigen hat Wunder gewirkt!«
Gemessenen Schrittes geht er zu den Gefangenen, wählt eine junge, schöne Frau aus und bedeutet ihr aufzustehen. Sie gehorcht ihm – sie hat gar keine andere Wahl – und lässt sich von Gottschall in die Mitte des Platzes führen, wo er einen seiner Elitekämpfer zu sich ruft.
»Frau, die du durch die Dummheit deiner Regierenden Witwe geworden bist, ich gebe dir deine Fruchtbarkeit zurück. Frau, dies ist dein Mann.«
Der Soldat grinst, ergreift die Hand der Frau und zieht sie mit sich.
Dieses Ritual wiederholt sich neunmal, bis alle schwarz gekleideten Wächter mit einer Frau belohnt worden sind.
Wieder pochen die Trommeln, und die Blasinstrumente schaffen eine neue Kakophonie.
Gottschall hebt ein weiteres Mal die Arme.
Von einem Augenblick zum anderen herrscht Stille.
Es ist eine schwere Stille, dicht und undurchdringlich wie die Dunkelheit der Nacht um uns herum.
»Gottes Volk! Der Moment der Läuterung ist gekommen!«
Zwei Trommelschläge.
»Der Moment ist gekommen, die Flecken der Schuld aus unseren Kleidern zu waschen. Mit der Läuterung sagen wir Gott, dass wir Ihm gehören, und nur Ihm.«
Mit der rechten Hand gibt Gottschall den Soldaten ein Zeichen. Zwei kleine, in weiße Gewänder gehüllte Gestalten werden auf den Platz geführt.
Drei Trommelschläge.
»Die Heilige Schrift sagt uns, dass Gott ein perfektes Opfer von seinen Schäflein verlangt, Lämmer ohne Makel.«
Die weißen Gewänder werden fortgezogen. Zwei nackte Kinder stehen dort, zitternd in der Kälte und aus Angst, die Augen weit aufgerissen.
Sie stammen nicht aus der Gemeinschaft von Rimini. Offenbar gehören sie zu der Gruppe, die Gottschall begleitet hat.
Der große, bärtige Mann senkt den Kopf und schüttelt ihn.
»Wir bedauern dieses Opfer sehr. Wir wissen, dass es notwendig ist, aber es zerreißt uns das Herz, diese beiden Lämmer zu verlieren. Doch der Herr verlangt von uns, sie zu opfern.«
Die Menge gerät in Bewegung, wogt wie das Meer. Unter diesen Leuten sind auch die Eltern der beiden Kinder.
Gottschall lächelt und hebt die beiden weißen Gewänder auf.
»Gott forderte Abraham auf, Ihm seinen Sohn Isaak zu opfern, und Abraham gehorchte. Und in dem Moment, als er das Messer über Isaak hob …«
Die beiden Gewänder fallen auf die Kinder und bedecken sie.
Die Scheinwerfer der Hummer gehen aus.
In der Düsternis klingt Gottschalls Stimme noch mächtiger.
»… schickte Gott einen Engel, um Abrahams Hand Einhalt zu gebieten. Der Engel sprach, dass die Treue Seines Dieners Gottes Wohlgefallen gefunden habe und Er ein Lamm schicke, um Isaak als Opfer zu ersetzen …«
Die Scheinwerfer der Geländewagen gehen wieder an und blenden uns.
Mit einer theatralischen Geste zieht Gottschall die weißen Tücher fort.
Ein Mann und eine Frau haben den Platz der Kinder eingenommen, beide vollkommen nackt.
Der Mann ist dürr und verkrüppelt.
Der Herzog von Urbino.
Zahllose Kratzer und Schnitte bilden ein netzartiges Muster auf seiner Haut. Ein Knebel steckt in seinem Mund. Er windet sich, versucht zu schreien.
Die Frau an seiner Seite ist Adèle Lombard. Sie steht aufrecht und versucht, Würde zu bewahren.
Durand springt auf, als er sie sieht.
Ein Wächter zwingt ihn, sich wieder zu setzen.
Die Reaktion des Hauptmanns ist Gottschall nicht entgangen.
Er schenkt ihm ein Lächeln und wendet sich dann an seine Anhänger.
»Gott hat zwei Lämmer geschickt, die bei dieser Läuterung den Platz unserer Kinder einnehmen sollen!«
Die Menge jubelt.
»Gott hat unsere Kinder gerettet!«, ruft der Verrückte in der schwarzen Tunika. »Gott möchte, dass wir Ihm diese beiden Geschöpfe opfern, die alles andere als rein sind. Hier seht ihr
Weitere Kostenlose Bücher