Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
euren neuen Brüdern. Sie bringen euch zu den Unterkünften, die euch zugewiesen worden sind. Heute habt ihr den Beginn einer neuen Ära erlebt, den Anfang der freien Gemeinschaft von Rimini. Es wird eine Ära des Handels und des Glaubens sein. Ich heiße euch alle herzlich willkommen.«
Dann wendet er sich an uns und scheint ein anderes Kapitel aufzuschlagen.
»Ihr habt eure Sache gut gemacht. Leider waren wir in Hinsicht auf das Maschinengewehr falsch informiert. Kann passieren. Das mit euren Toten und Verwundeten tut mir leid.«
»Einen von ihnen haben Sie verletzt«, sagt Durand.
Gottschall geht nicht darauf ein und beobachtet, wie seine Männer die Gefangenen recht unsanft auf die Beine ziehen und abführen.
»Ihr habt euch die Reise nach Venedig verdient. Morgen früh brechen wir auf. Nach dem Fest der Läuterung.«
»Ich möchte Doktor Lombard sehen.«
»Sie werden sie sehen, ja, das werden Sie. Bald. Beim Fest.«
»Und bis heute Abend?«
Die Frage scheint Gottschall zu verwirren.
»Wie meinen Sie das?«
»Was machen wir bis heute Abend?«
»Nun, Sie und Ihre Männer könnten uns dabei helfen, hier alles in Ordnung zu bringen, die Toten zu begraben und zu überprüfen, ob auch wirklich keiner der Festungsleute übrig geblieben ist.«
»Die Toten begraben … Können wir unsere Waffen behalten?«
»Ich fürchte, das kommt nicht infrage. Übrigens, wenn ich bitten darf … Gebt meinen Männern auch eure Messer. Ich möchte euch nicht durchsuchen lassen. Das wäre demütigend, für euch ebenso wie für uns.«
»Sie lassen uns unbewaffnet in einem Kriegsgebiet?«
»Oh, dies ist kein Kriegsgebiet mehr. In Rimini herrscht endlich Frieden. Und seien Sie unbesorgt: Meine Leute begleiten euch. Ihr habt nichts zu befürchten.«
Hoch aufgerichtet und mit stolzgeschwellter Brust geht Gottschall zum Ausgang. Dort bleibt er stehen, dreht sich noch einmal um und lächelt.
»Ach, eins wollte ich Ihnen noch sagen, Hauptmann. Vielleicht sind Sie schon selbst darauf gekommen. Mein kleiner Caliban hat das eine oder andere körperliche Problem, doch als Ausgleich verfügt er über das Gehör einer Fledermaus. Niemand kann sich hinter meinem Rücken gegen mich verschwören, Hauptmann Durand.«
27
DAS FEST DER LÄUTERUNG
Wir beerdigen Jegor und Marco am Strand. Wir haben nicht die nötigen Werkzeuge, um ein Loch in den betonhart gefrorenen Boden zu bohren, und deshalb verscharren wir sie im Sand.
Mit Blechteilen heben wir ein Grab aus. Sehr tief ist es nicht, aber es gibt keine Raubtiere mehr, die versuchen könnten, an die Leichen zu gelangen.
Die anderen Toten bekommen nicht einmal so viel. Als es um diese Angelegenheit geht, lachen uns Gottschalls Leute aus. Sie bleiben unter dem Schutz des Vordachs und zeigen uns die »praktische Lösung«, indem sie uns auffordern, möglichst viel brennbares Material zu sammeln und auf dem Platz vor dem Gebäude anzuhäufen, neben einem spiralförmigen Gebilde, das an ein Schneckenhaus erinnert und vermutlich einmal zur Dekoration des Platzes diente. Heute erfüllt es nur noch den Zweck, auf die unlogische Verschwendung einer verlorenen Vergangenheit hinzuweisen.
Als der Haufen aus Holz und Pappe unseren Wächtern groß genug erscheint, weisen sie uns an, die Leichen ihrer Kameraden darauf zu legen.
»Und die Leute von hier?«, frage ich.
»Meinetwegen auch die«, antwortet einer der Männer, sein Gesicht unsichtbar hinter einer Maske, die ihn wie ein Insekt aussehen lässt. »Aber haltet sie von unseren getrennt.«
Wir bedecken die Leichen mit Dingen, die ebenfalls leicht brennen, wie das Holz unter ihnen, hauptsächlich alte Reklametafeln, auf denen man noch die Marken lesen kann: Toshiba, Bacardi, Alfa Romeo. Ein Plakat mit Dessous-Werbung zeigt ein russisches Fotomodell, das in den Monaten vor dem Tag des Leids großen Erfolg hatte. Als ich das Plakat dem Haufen hinzufüge, versucht Diop, sich an den Namen des Modells zu erinnern. Irina Soundso.
Die Wächter schauen uns bei der Arbeit zu. Niemand von ihnen scheint auch nur daran zu denken, uns zu helfen. Erst als wir mit dem Scheiterhaufen fertig sind, erlauben sie uns, unsere Toten zu begraben. Wir sollen uns nicht zu weit entfernen, damit sie uns vom Vordach aus im Auge behalten können. Bune befindet sich bei ihnen; er ist noch zu schwach, uns zur Hand zu gehen.
Unsere Geigerzähler haben wir nicht mehr – sie sind uns ebenso genommen worden wie die Waffen. Es bedeutet, dass wir nicht wissen, wie viel
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