Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
da. Ich bin nicht verrückt. Leidende Seelen sind es, bestrafte Seelen. Und ihr Herr und Meister ist ein Dämon. Auch ihn habe ich gesehen. Sie sind um dich herum. Du lockst sie an. Sie wollen dich. Aber ich bin schlauer als sie. Jetzt habe ich dich in der Hand, und damit kann ich sie kontrollieren. Wenn sie dich wollen, müssen sie zu mir kommen. Und ich warte auf sie. Ich habe keine Angst vor Dämonen. Hab viele von ihnen ausgetrieben, mit Eisen und Wasser. Und natürlich mit Feuer. Oh, ich weiß, wie man mit ihnen umgeht …«
Gottschalls Stimme ist müde, er keucht vor Anstrengung – es fällt ihm alles andere als leicht, mich durch den Schnee zu ziehen. Vielleicht liegt es auch an dem Bösen, das ihn innerlich zerfrisst.
»Diese Stadt ist voller Visionen. Wie die Wüste, in der der Teufel versuchte, Jesus in Versuchung zu führen. Hör nicht auf die Stimmen. Glaub nicht an die Trugbilder. Die Wahrheit …«
Er beendet den Satz nicht und zieht mich weiter.
»Wohin willst du? Wohin bringst du mich?«
Gottschall antwortet nicht.
Schnee dringt mir unter die Kleidung, und mein Rücken wird eiskalt. Steine, Glassplitter und andere im Weiß verborgene Objekte kratzen und verletzen mich. Der Mann, der mich gefangen genommen hat, muss davon wissen, aber es schert ihn nicht. Er zieht mich weiter, wie etwas Lebloses, das keine Empfindungen hat. Wenn mir noch etwas Kraft geblieben wäre, würde ich versuchen, mich zu befreien, doch schon das Atmen fällt mir schwer.
Nach einer Weile spricht Gottschall wieder zu mir.
»Danke für das Geschenk. Für das schönste Geschenk in meinem ganzen Leben. Du hättest es lesen sollen, das Tagebuch deines Freundes. Es erschließt einem ganz neue Horizonte. Weißt du eigentlich, dass uns die Russen in manchen Dingen weit voraus waren? Und dein Freund, er war den meisten Russen voraus. Es wundert mich, dass sie ihn nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht abgemurkst haben. Oder dass er nicht die Nummer Eins in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung eines multinationalen Konzerns geworden ist …«
Von wem redest du da?, hätte ich gern gefragt. Von Maxim? Ich bitte dich!
»… aber ich schätze, er ist nach Rom gereist, um Schutz bei der Kirche zu suchen. Für gewöhnlich baten die Russen in den USA um politisches Asyl, aber dein Freund ist in den Vatikan geflohen. So wie er schreibt, scheint ihr wirklich dicke Freunde gewesen zu sein. Und die ganze Zeit über hast du nicht gewusst, wer er war und woran er arbeitete?«
»Ich weiß nichts.«
»Ich sage dir: Dein Freund hat mir die Augen geöffnet. Er ist ein Genie. Hast du eine Ahnung, was in dem Tagebuch geschrieben steht?«
»Ich habe es nicht gelesen.«
»Ich weiß. Du würdest dich bestimmt anders verhalten, wenn du es gelesen hättest. Niemand kann es lesen und normal bleiben. In dem Tagebuch steht alles . Einfach alles. Eine Erklärung für das, was geschehen ist, für die monströsen Wesen … die dämonischen Kreaturen …«
Es erstaunt mich, dass jemand wie David Gottschall von »monströsen Wesen« sprechen kann.
»Es steht alles darin geschrieben, alles. Auch wie man die Wesen aufhalten kann. Und damit noch nicht genug! Nein, damit noch nicht genug! Das Funkgerät … Das Funkgerät, das ich in Urbino zusammen mit dem Tagebuch an mich genommen habe, das blöde Funkgerät, das nicht mehr zu sein schien als ein schlechter Witz … Bevor wir Rimini erreichten, empfing es plötzlich ein Signal. Eine Kontrolllampe leuchtete auf, und eine Stimme kam aus dem Lautsprecher. Eine Stimme, die nach dir fragte. Sie war verzerrt, aber man konnte sie verstehen. Es war wie ein Schock für mich – seit zwanzig Jahren hatte ich nichts aus einem Radio gehört. Zuerst dachte ich an Interferenzen, aber die Stimme sagte, dass sie von einem Ort namens Neuer Vatikan sendete. Da wurde mir klar, dass alles stimmt. Was du mir erzählt hast, meine ich. Woher du kommst und der ganze Rest. Maxim und ich, wir haben uns gleich verstanden und wurden Kumpel. Ich habe ihm gesagt, dass es dir schlecht geht, was der Wahrheit ziemlich nahekommt, stimmt’s? Und ich habe ihm versprochen, dass du dich melden würdest, sobald du dich ein wenig erholt hast. Dann habe ich mit Hinweis auf die Batterien abgeschaltet und mich auf die Suche nach dir gemacht …«
»Warum?«, bringe ich hervor.
»Weil du der Passierschein für meine Rettung bist. Und vielleicht auch für etwas Größeres. Du wirst mir Gelegenheit geben, deinen Neuen Vatikan zu
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