Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
mich.
Der Gang ist dunkel, und ich habe nichts, um ihn zu erhellen. Die Wände riechen verfault und sind bis in eine Höhe von anderthalb Metern mit etwas bedeckt, das nach getrockneten Algen aussieht.
Ich bewege mich in dem wenigen Licht, das durch die Öffnung des Tunnels hinter mir fällt, und suche nach einem Ausgang, von dem ich weiß, dass es ihn geben muss.
Schließlich finde ich ihn und gehe drei Stufen hoch, die zu einer Holztür führen.
Sie ist verschlossen, aber die Verzweiflung gibt mir genug Kraft, sie aufzubrechen.
Viermal stoße ich mit der Schulter dagegen, dann gibt die Tür endlich nach.
Das Krachen hallt viel zu laut durch den Tunnel. Rasch trete ich über die Schwelle und drücke die Tür hinter mir zu, mache mir dabei allerdings nichts vor. Die im Schnee zurückgebliebenen Spuren sprechen eine zu deutliche Sprache.
Aber ich brauche nur etwas Zeit.
Der Tunnel hat mich auf eine Idee gebracht.
Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, den Verfolgern zu entwischen.
Wenn das, was ich in diesen Tagen gesehen habe, nicht nur das Ergebnis eines Deliriums war.
Es wird sich bald herausstellen.
38
DOKTOR LIVINGSTONE, NEHME ICH AN
Ich versuche, mich an die Karte zu erinnern, die Alessia mir von ihrem unterirdischen Reich gezeigt hat.
Die roten Punkte, die auf einen Brunnen oder eine Zisterne hinwiesen, waren in der Stadtmitte dichter beieinander. In den peripheren Bereichen wie hier wuchsen die Abstände zwischen ihnen.
Ich weiß nicht, ob es Zeichen gibt, die auf Eingänge der ausgedehnten Welt unter der Stadt hinweisen; auch diesmal bleibt mir nichts anderes übrig, als meinem Instinkt zu vertrauen.
So leise wie möglich durchquere ich das Erdgeschoss des Palazzos, in dem ich mich befinde. Mit dem, den mir Alessia gezeigt hat, ist er nicht zu vergleichen. Das wenige Licht, das durch die Fensterläden kommt, zeigt mir billige, anspruchslose Möbel. Es herrscht ein starker Geruch von Moder und Salz.
In einem Zimmer, das einst ein Salon gewesen sein muss, nehme ich Platz. Den Raum Bibliothek zu nennen erscheint mir übertrieben, obwohl er Bücher enthält, die allerdings nicht in Leder oder alten Stoff gebunden sind. In den Ikea-Regalen stehen billige Taschenbücher, halb verschimmelt. Ich nehme eines, oder versuche es zumindest – das Buch klebt an den anderen rechts und links fest. Ich löse es mit sanfter Gewalt und schaue mir an, was ich in der Hand halte: Prinz Kaspian von Narnia von Clive S. Lewis.
Ich erinnere mich daran, es als Heranwachsender gelesen und auch den Film gesehen zu haben.
Es hat nichts in meinem Herzen hinterlassen und kaum etwas im Gedächtnis. Seltsamerweise war der Autor zu meiner Zeit für Worte bekannt, die vermutlich gar nicht von ihm selbst stammen.
Der Schmerz von heute ist Teil des Glücks von gestern.
Das hat Anthony Hopkins gesagt, der Schauspieler, der C. S. Lewis spielte. Aber es war ein Satz, den sich die Drehbuchautoren einfallen ließen.
Ich versuche, das Buch zu öffnen, doch die Blätter kleben aneinander.
Dieses Buch kann niemand mehr lesen.
Ich werfe es in eine Ecke. Es wirbelt eine Staubwolke auf, die das durchs Fenster kommende Tageslicht einfängt. Für einen Moment glaube ich, ein menschliches Gesicht in der Wolke zu sehen, aber es ist nur eine Illusion.
Der Staub setzt sich wieder.
Und in diesem Augenblick verstehe ich.
Auf dem Boden gibt es keine Spuren, abgesehen von meinen eigenen.
In einem verlassenen Haus müsste es Spuren von Mäusen oder Vögeln geben.
Und Spinnweben in den Ecken.
Doch dieses Haus ist tot. Wie die ganze Stadt.
Man hört nicht die Rufe von Tieren oder leises Trippeln in der Dunkelheit, wie in den Katakomben des Neuen Vatikans. Das einzige Tier, das ich hier gesehen habe – eine Katze –, verschwand durch Glas.
Die Stadt ist tot.
Venedig ist ein Reich der Illusionen. Hier kann man seinen Sinnen nicht trauen.
Hinter den vielen Maskierten, die zum Fest unterwegs waren, zeigten sich keine Spuren im Schnee des Canal Grande.
Und jemand hat alle Spiegel zerstört und sogar ihre Splitter entfernt.
Oder war auch das nur eine Illusion?
Die Spiegel waren zerbrochen, aber einmal habe ich in einer Scheibe Albertos Spiegelbild gesehen, in Form eines Totenkopfs.
Ich frage mich, welches Spiegelbild ich von mir selbst sähe.
Ein Gesicht mit Stoppelbart.
Tief in den Höhlen liegende Augen.
Seit Tagen habe ich nichts gegessen – der Patriarch hatte recht. Ein Wunder? Und das Fieber? Und der Husten, manchmal so
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