Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
geschnitten und auf einem improvisierten Grill gebraten. Die Jäger behaupteten, es stamme aus den Tunneln, und wir sollten besser nicht fragen, von welchen Tieren. Aber wir wussten Bescheid. Wir wussten alle, von wem das Fleisch stammte.
Die Frau hebt die Hand, als wollte sie »genug« sagen. Aber sie spricht weiter.
Als kein Fleisch mehr da war, verschwand die Frau.
Und dann die übrigen Kinder.
Kurz bevor die Zigeunerin starb, von mehreren Männern auf dem Boden festgehalten, verfluchte sie uns.
Sie sagte, nach ihren Kindern würden wir auch unsere eigenen essen.
Und so kam es.
So kam es.
In der Stazione Aurelia gibt es keine Kinder …
Die Frau hebt ihre Hände zur Stirn, als sei der Kopf plötzlich sehr schwer geworden.
»Für jene, die ein leichtes Leben hatten, ist es leicht zu urteilen«, murmelt sie.
»Seit Jahren hat niemand von uns ein leichtes Leben.«
Mir wird klar, dass ich diese Worte zu streng gesprochen habe.
Die Frau lässt den Kopf noch etwas mehr hängen, und zwischen dem lichten weißen Haar sehe ich die rosarote Kopfhaut. Ich könnte ihren Kopf nehmen, auf den Boden drücken und mit dem Fuß zerquetschen; vielleicht wäre sie mir sogar dankbar dafür.
Stattdessen lege ich ihr die rechte Hand aufs Haupt und spreche leise die Worte der Absolution.
»Ego te absolvo in nomine Patris, et Filii, et Spiritus Sancti.«
Die Frau sieht mich von unten an, durch den Schleier ihres Haars.
»Geben Sie mir keine Strafe?«
»Nein. Das ist nicht nötig.«
»Wie bitte? Nach allem, was wir … was ich getan habe? Sie müssen mir eine Strafe geben.«
»Das Leben, das wir führen, ist bereits Strafe genug.«
Die Frau schüttelt den Kopf, langsam erst, dann immer schneller, bis zur Raserei. Sie scheint übergeschnappt zu sein.
Ich halte sie fest, an den Schultern, nehme dann ihren Kopf zwischen die Hände und fühle das Pulsieren der Adern in den Schläfen.
Ich hebe ihren Kopf, bis ich ihr in die Augen sehen kann.
»Wir alle haben Schreckliches getan«, sage ich.
»Sie verstehen nicht.«
»Die Kirche vergibt. Vor allem die Dinge, die während des Leids geschehen sind. In vielen Fällen war es ein notwendiges Übel.«
Die Frau starrt mich fassungslos an.
»Was wir getan haben … Es passierte nicht nur während jener Tage.«
Plötzlich springt sie auf, mit einer Kraft, die ich ihrem so schwach und zerbrechlich wirkenden Körper nicht zugetraut hätte.
Sie weicht zurück, stolpert und fällt. Ich strecke die Hand aus, um ihr wieder auf die Beine zu helfen. Aber die Frau nimmt sie nicht und stößt meinen Arm beiseite.
»Es passierte nicht nur während jener Tage!«, ruft sie und läuft fort.
9
OFFENBARUNGEN
»Ich muss mit Ihnen reden, Durand. Bleiben Sie stehen.«
Der Hauptmann geht nicht ein bisschen langsamer. Ich muss fast laufen, um an seiner Seite zu bleiben.
Das Heulen einer Sirene hallt durch den Korridor.
»Nicht jetzt, Pater. In weniger als einer Stunde brechen wir auf. Bald wird es dunkel. Und es ist gerade zu einem Notfall gekommen.«
»Es geht um eine wichtige Sache!«
Durand bleibt abrupt stehen und sieht mich ernst an.
»Kehren Sie nach oben zurück, Pater Daniels. Wir haben hier unten ein Problem, das wir lösen müssen.«
Der Hauptmann eilt weiter, und ich folge ihm durch mehrere Korridore, ohne dass er auf mich achtet. Es ist mir schwergefallen, ihn zu finden. Die Beichte der Frau hat mich so sehr erschüttert, dass ich unbedingt mit Durand reden wollte. Bune riet mir, es beim Heizwerk zu versuchen. Einer der Stationsbewohner hat mich Etage um Etage nach unten geführt, bis in den Bereich mit den Installationen.
Und dann – der Alarm.
Wir erreichen einen großen, von Neonröhren erhellten Raum. Eine von ihnen flackert und scheint defekt zu sein.
Es sieht nach dem Maschinenraum eines Schiffes aus.
»Wo liegt das Problem?«, wendet sich Durand an einen Mann, der mich an eine dürre Krähe erinnert und über ein Aggregat gebeugt ist, aus dem scharf riechender Rauch aufsteigt.
»Wo das Problem liegt? Es gibt kein Problem . Über Probleme sind wir hinaus. Diese Maschine ist tot!«
»Was können wir tun? Welches Ersatzteil brauchen Sie?«
»Keins. Sehen Sie hier? Jemand hat die Maschine sabotiert. Sie wird nie wieder funktionieren. Sie ist hinüber, kapiert?«
»Wer kann das gewesen sein?«, fragt Durand.
»Wen interessiert das jetzt noch? Wir sind erledigt! Haben Sie verstanden? Wir sind erledigt! Das Ende dieser Maschine ist auch unser Ende.«
Durand holt
Weitere Kostenlose Bücher