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Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tullio Avoledo
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helfen?«, frage ich.
    Die Frau zögert und schüttelt den Kopf.
    »Ich warte seit Jahren …«
    Mit einem Ruck dreht sie sich um und will das Zimmer wieder verlassen. Einige schnelle Schritte bringen mich zu ihr, und ich halte sie an den Schultern fest. Sie versucht nicht, sich zu befreien.
    »Nicht hier«, haucht sie und schließt die Augen.
    »Was meinen Sie?«
    Die Frau antwortet nicht.
    Ich lasse sie los.
    Sie macht zwei Schritte zur Tür, bleibt stehen und dreht sich um.
    »Kommen Sie mit«, sagt sie.
    Wir gehen durch lange Flure, die intakt und hell erleuchtet sind, ganz anders als die Tunnel des Neuen Vatikans. Unterwegs begegnen wir niemandem. Ein leichter Geruch von Staub liegt in der Luft, doch er ist nichts im Vergleich mit dem Gestank, an den ich so gewöhnt bin, dass ich ihn gar nicht mehr bewusst wahrnehme. Hier gibt es viel ungenutzten Platz, und es ist warm, sogar in den Korridoren. Ich denke an die Katakomben und halte eine solche Verschwendung fast für ein Verbrechen.
    Schließlich erreichen wir eine Stahltür. Die Frau öffnet sie, und wir betreten den Raum dahinter.
    Es ist ein Umkleideraum. Vielleicht stand er den Angestellten zur Verfügung, als dies noch ein Bahnhof der Metropolitana von Rom war. Vor uns steht eine Bank, fast so lang wie der Raum, und Spinde ziehen sich an der Wand entlang. Die Frau öffnet zwei von ihnen, kniet nieder und faltet die Hände zum Gebet; ich sehe sie durch die Spalte zwischen Spindtür und Schrank.
    »Ich möchte beichten, Pater. Seit Jahren habe ich diesen Wunsch, aber es kam nie ein Priester hierher.«
    »Warum an diesem Ort? Sie hätten in dem Raum beichten können, in dem ich die Messe zelebriert habe.«
    »Es ist mir lieber …«
    »Dass sich etwas zwischen uns befindet? Eine Art Gitter?«
    »Ja.«
    Ich setze mich auf den Boden.
    »Segnen Sie mich, Pater, denn ich habe gesündigt.«
    Die Frau zögert ein weiteres Mal und seufzt.
    »Ich habe ganz vergessen, wie man es macht. Was man sagt. Es ist so lange her …«
    »Ich höre dich, Tochter. Die Worte sind nicht wichtig. Sprich sie so, wie sie dir in den Sinn kommen.«
    Sie schüttelt den Kopf. »Es ist nicht leicht.«
    Dann schließt sie die Augen und beginnt zu erzählen.
    Es ist nicht leicht.
    Es ist ganz und gar nicht leicht.
    Viel einfacher ist es zu urteilen. Sich das Böse auf der einen Seite vorzustellen und das Gute auf der anderen. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Ganz anders. Wissen Sie, Pater … Manchmal ist das Böse … schwer zu erkennen. Man entscheidet etwas, und die anderen denken, dass es gut ist oder nicht so schlecht, und dann manchen sie es ebenfalls. Zu Anfang sträubt sich vielleicht jemand und sagt, dass es nicht gut ist, dass man so etwas nicht tun sollte, aber schließlich beugt man sich dem Druck.
    Haben Sie bemerkt, dass heute fast niemand die Kommunion empfangen wollte? Ich nicht, mein Mann nicht … Glauben Sie, uns läge nichts daran? Die beiden Personen, die sich von Ihnen die Hostie geben ließen … Ich frage mich, ob sie wirklich Erlösung von ihren Sünden wollten. Vielleicht ging es ihnen nur darum, nach all den Jahren Brot zu probieren.
    Der Leib und das Blut Christi, o ja …
    Gott ist Mensch geworden und hat sein Fleisch und sein Blut für uns geopfert …
    »Ich verstehe nicht«, sage ich leise.
    Sie verstehen nicht, sagen Sie …
    Mein Mann und ich waren mit der Metro unterwegs, als die Bomben fielen. Der Zug entgleiste im Tunnel – die Druckwelle einer Explosion riss ihn von den Schienen. Wir dachten an ein Attentat. An einen terroristischen Bombenanschlag. Erinnern Sie sich an die Terroristen? Viele Passagiere starben, mehr als die Hälfte. Wer nur leicht verletzt war, wer sich noch bewegen konnte … Diese Leute machten sich auf den Weg durch den dunklen Tunnel und versprachen den anderen, Hilfe zu schicken. Wir ließen sie in Dunkelheit zurück, denn die Stromversorgung war unterbrochen.
    Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder kehrten wir zu der Station zurück, die wir gerade verlassen hatten, oder wir versuchten, die nächste zu erreichen. Wir stimmten darüber ab. Einige der Überlebenden meinten, das Donnern der Explosionen sei von der Stadt gekommen, und deshalb beschlossen wir, zur nächsten Station zu gehen. Im Licht von Streichhölzern, Feuerzeugen und aus Zeitungen improvisierten Fackeln folgten wir dem Verlauf der Gleise, entsetzt von der Vorstellung, dass wir auf den Schienen braten würden, wenn die Elektrizität plötzlich zurückkehrte.
    Wir

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