Die Yoga-Kriegerin
könnte.
Zwei Jahre zuvor, als ich mich für das Leben und die Yogalehrerausbildung entschieden hatte, war das ein gigantischer Schritt in Richtung Heilung, aber ich war immer noch völlig kaputt. Ich hatte absolut keine Ahnung, was ich tun sollte, nachdem ich meine Ausbildung abgeschlossen hatte. Ich hatte nicht einmal das Geld, um von Mexiko wieder wegzukommen! Ein paar Leute im Kurs legten etwas Geld zusammen, um mir ein Ticket zurück nach L . A. zu kaufen. Als wir dort ankamen, fragten die beiden Frauen, mit denen ich gereist war: »Und, wo musst du nun hin?«
»Ich weiß nicht, setzt mich einfach beim Yogazentrum ab.« Ich hatte dort Stunden genommen und kannte ein paar Leute, die dort arbeiteten. Ich marschierte hinein und setzte meine beste gespielt selbstsichere Miene auf und sagte: »Hi, ich habe gerade die Lehrerausbildung abgeschlossen und dachte mir, ihr könntet etwas Hilfe gebrauchen.« Das Personal ließ mich unterrichten, putzen, alles, was ich so tun konnte. Als die Inhaber – Ganga und seine Frau Lily – vom Unterrichten und Reisen zurückkamen, war ich bereits ziemlich fest integriert.
Tag für Tag suchte ich immer noch einen Grund zum Leben und einen Ausweg aus diesen schrecklichen Abgründen in meinem Kopf zu finden. Mit dem Praktizieren und Unterrichten von Yoga begann sich mein Körper allmählich zu lockern, und ich bekam langsam ein Gefühl für Freiheit und Kraft, das ich zuvor nicht gehabt hatte. Das war wunderbar, doch es genügte nicht. Ich war hungrig, aber ich wusste nicht einmal, worauf.
Ich hatte alles gelesen, was man zum Thema Erleuchtung finden konnte. Aber je mehr ich las, umso verzweifelter wurde ich, denn diese Texte hatten nichts mit mir und meinen Problemen zu tun. Erleuchtung? Ich wollte einfach nur aufwachen, ohne mich umbringen zu wollen. Jeder Tag war ein Kampf, mich für das Leben zu entscheiden.
In all der Yogaphilosophie ging es darum, den Körper zu transzendieren, was ich eher als schädliche Botschaft interpretierte: Wir werden belohnt, nachdem wir sterben, also ist eigentlich egal, wie wir unseren Planeten oder einander oder unsere Körper zugrunde richten. Ich wollte aber wissen: Wie lebt man auf dieser Erde spirituell in sei nem Körper? Daran, diesen Sack aus Haaren, Blut, Scheiße und Knochen zu transzendieren, war ich hingegen weniger interessiert.
Mein Kotzen spiegelte meinen Geisteszustand wider. Während meiner Zeit in Mexiko war es in den Hintergrund getreten, weil es dort wunderbarerweise jeden Tag eine Fülle von Essen gegeben hatte. Ich hatte alle Phasen durchlaufen, von einem panischen Gefühl, zu verhungern, bis zu dem Vertrauen, dass es jederzeit Früh stück, Abendessen oder überhaupt immer etwas zu essen geben würde. Obwohl mich weiterhin das Gefühl verfolgt hatte, ich würde es nicht verdienen. Eines Tages, auf dem Weg in den Speisesaal, hatte ein Stinktier meinen Weg gekreuzt und mich verjagt – wieder eine Bestätigung, dass ich nicht verdiente zu essen. Inzwischen aber, während ich im Yogazentrum arbeitete, wurden das Essen und das Kotzen allmählich zentraler Bestandteil meines Tagesablaufs. Ich hatte meine Abhängigkeit von Alkohol, Drogen und Zigaretten durch brochen, aber in Wirklichkeit hatte ich nur meine Abhängigkeit von diesen Substanzen gegen eine andere, noch viel heimtückischere eingetauscht. Von frühester Kindheit an hatte ich mich immer über geben – kein Wunder, wenn man bedenkt, wie viel Alkohol und Dro gen ich zu mir genommen und wie viel Traumata ich hatte ertragen müssen. Und ich hatte nie eine gute Beziehung zum Essen: Mit krankhaft fettleibigen Menschen zu leben kann deinen Geist ziem lich durcheinanderbringen, vor allem wenn ein Schloss am Kühl schrank hängt (ich habe nie erfahren, wer es dort angebracht hatte und ob es da war, um mich und die restliche Familie fernzuhalten) und wenn dir deine eigene Familie dein Essen stiehlt.
Ich konnte dir bis aufs Gramm genau sagen, wie viel ein Pferd fressen muss, wenn es an einem Wettkampf teilnehmen soll, im Vergleich dazu, wenn es sich in einer Ruhepause befand; aber ich hatte keinen blassen Schimmer, wie ich mich selbst ernähren sollte. Als Teenager wurde das Kotzen immer mehr zu einem Ritual – es war eines der wenigen Erlebnisse, das mich mit meiner Schwester verbunden hatte, einer Tänzerin, die sich abmühte, ihr Gewicht niedrig zu halten. Du weißt, dass du eine völlig verkorkste Beziehung zu je mandem hast, wenn deine angenehmste Kindheitserinnerung
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