Die Yoga-Kriegerin
ihnen zu lernen. Über Jahre der spirituellen Praxis warfen diese Heiligen Schicht um Schicht jede Art von Bindung ab, bis sie buchstäblich alles bis auf den Spirit und Kuhdungpulver abgestreift hatten, sie lebten in Höhlen oder wanderten von Stadt zu Stadt mit ihren langen, herumfliegenden Dreadlocks und ihren dunklen, wilden, nackten, von Kopf bis Fuß mit weißer Asche bedeckten Körpern. Sie sind sehr starke Menschen; sie laufen sehr viel. Ich spürte, dass sie Gleichgesinnte waren; wie ich hatten sie sich dazu entschieden, am Rand der Gesellschaft zu leben. Von den Menschen in Indien werden sie tatsächlich als »selbst erklärte Tote« be trachtet und von staatlicher Seite für tot erklärt. Ich konnte das Leben zwischen den Welten der Lebenden und der Toten nachempfinden.
Als Nächstes suchte ich B . K . S. Iyengar auf, einen legendären Yo galehrer. Millionen haben von seiner Weisheit profitiert, und ich hatte seinen Bestseller Licht auf Yoga gelesen, also konnte ich es kaum erwarten, zum weltberühmten Yogainstitut nach Pune zu fahren, um vom Meister zu lernen. Ich war beeindruckt von seiner Gewichtung auf extreme Präzision in den Positionen; ich wusste, dass Iyengar-Lehrer eine Spezialausbildung machen mussten, und ich wollte einer von ihnen werden. Ich wusste jedoch nicht, dass Iyengar sein »aktives Korrigieren« durch Schlagen, Spucken und Schreien erzielte.
Ich ließ mir seine richtig schlechten Verhaltensweisen gefallen, denn immerhin hatte er bis dahin schon über vierzig Jahre unterrichtet. Er musste einfach all die Antworten haben, die ich unbedingt haben wollte. Feuerproben störten mich nicht; wie viele hatte ich bereits durchgemacht? Ich dachte mir, wenn ich mich einfach damit abfinden würde, dann würde ich den Test bestehen und er würde mir den Schlüssel geben. Iyengar tat eine ganze Menge, um mich fertigzumachen, wie zum Beispiel seine Zehen tief in mein Zwerchfell zu bohren, doch mit körperlichem Schmerz kann man mich nicht fertigmachen, nur mit Liebenswürdigkeit. Er machte sich ständig über mich lustig, nannte mich Expertin. »Na also, Expertin, endlich weinst du.« »Ich habe eine Erkältung, Herr Iyengar«, zischte ich ihn an. Ich hatte schon erlebt, dass eine halbe Tonne Pferd mich töten wollte; was konnte so ein kleiner Mann schon wirklich anrichten? Wir verhielten uns beide kindisch; er plusterte sich auf, ich widersetzte mich eigensinnig. Welche Weisheit er auch hatte, er war nicht bereit, sie mit mir zu teilen, weil ich seiner Forderung nach Unterwürfigkeit nicht nachkam. Am Ende der einmonatigen Ausbildung stellten wir uns alle während des Festessens in einer Reihe auf, um vor Iyengar niederzuknien und seine Füße zu berühren. Als ich mich ihm näherte, sagte er: »Also, Expertin, nun brauchst du nie mehr hierher zurückzukommen.« Und ich antwortete: »Oh, ich weiß das, Herr Iyengar.« Ich hatte gelernt, was ich wirklich wissen musste: dass ich nicht in anderen die Weisheit suchen konnte, die in mir selbst liegt.
Ein weiterer Durchbruch passierte, als ich in den Bergen in der grellen, brütenden Sonne auf einem Weg entlangging und auf eine Höhle stieß, in die ich hineinging. Während sich meine Augen an die Dunkelheit anpassten, stellte ich fest, dass sie voller Leute war. Da war eine Sadhu-Frau, eine mit Dreadlocks und Asche bedeckte königliche Erscheinung, mit funkelnden braunen Augen und klarem Blick. Sie saß auf einem glatten Felsen, bedeckt mit einer Art Fell, umgeben von Männern – eine ungewöhnliche Situation in Indien, wo Frauen als Bürger zweiter Klasse behandelt werden. Sie war offensichtlich eine Frau mit Macht, selbst in diesem Land. Ich sprach auf Englisch zu ihr, und sie sprach in einer Sprache, die ich nicht ver stehen konnte. Wir haben sehr lange miteinander geredet – ich eine Tochter von Kali, sie eine der Strahlenden. Etwas in mir veränderte sich; ich realisierte, dass es mir möglich war, gleichzeitig sowohl wild als auch heilig zu sein.
Meine Reisen durch Indien waren ein verrückter Mix aus Mystik und Elend. Die Flüsse und Berge hier waren ein Zuhause für mich – ich verstand zwar nicht, warum, aber ich war mir sicher. In Indien war das Magische tägliche Realität, gewürzt mit dem Gestank von Leichen, die anlässlich der allgegenwärtigen Todeszeremonien am Ganges verbrannt wurden. Ich fühlte mich geehrt, eine Schülerin von Gangotri zu sein, einem der hervorragendsten und authentischs ten, magischsten Sadhus des Landes.
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