Die Yoga-Kriegerin
verkümmert und sinnlos an; es war typisch für mich, Sehnsucht nach etwas zu ha ben, was so gut wie tot und Vergangenheit war.
Zwanzig Jahre später war ich in Los Angeles. Ich hatte Ganga verlassen und mein erstes Studio eröffnet, das ich passenderweise »The Turning Point« (Der Wendepunkt) genannt hatte. Meine orthodoxe Yogaphase hatte ich vielleicht hinter mir gelassen – mein ganzes Leben ist ein Heraustreten aus dem Orthodoxen gewesen –, aber ich brannte immer noch darauf, jemanden zu finden, der mir in mei nem Bestreben, Heilerin zu werden, ein Mentor sein wollte. Viel leicht würde das Studium bei Rosalyn meine eigenen Heilkräfte in eine entsprechende Richtung lenken und mich in die Magie einführen. Ich meldete mich für den Workshop an.
Als Rosalyn sich am ersten Tag auf die Bühne des Healing Light Center begab, haute sie mich geradewegs vom Hocker. Man hätte niemand Besseren auswählen können, um all meine Vorurteile auf die Probe zu stellen. Da war also diese Tussi, aufgetakelt und voll ge schminkt, mit falschen Wimpern und spitzen Absätzen, die gute fünfunddreißig Kilo überschüssiges Fett mit sich herumtrug. Es war unmöglich, nicht an meine Mutter erinnert zu werden. Und den noch, ab dem Moment, als sie ihren Mund zum Sprechen öffnete, war Rosalyn zum Schreien komisch, unwiderstehlich, provozierend, verführerisch.
Ich hatte das Medium für meine Magie gefunden.
Rosalyn beherrschte die Bühne auf ihren halsbrecherischen, goldenen, glitzernden High Heels. Sie fesselte uns alle mit ihren Vor trägen über Medizinräder und andere Formen der Heilkünste der Ureinwohner Nordamerikas und die Macht der Stürme, Blitze, Über schwemmungen, Erdbeben – dieselben reichlich vorhandenen chaotischen Manifestationen von Energie, von denen ich mich immer angezogen gefühlt hatte. Vieles von dem, was sie uns erzählte über Mediumismus, Heilen durch Handauflegen und Chelatthe rapie – Energie in bestimmten Mustern bewegen zu lassen, um Gift aus dem Körper eines Menschen herauszuziehen –, hatte sie von den Stammesältesten der Navajo gelernt. Sie brachte uns bei, zu fühlen, wo Energie blockiert, konzentriert oder gar nicht vorhanden ist, und wie wir sie wieder frei fließen lassen können, indem wir sie aus der Erde herausziehen und durch unser Herz und dann aus unseren Hän den wieder hinausschicken lassen.
Während der einen Hälfte des Unterrichts war ich so elektrisiert von dem, was ich erlebte, dass mir die Haare zu Berge standen; während der anderen Hälfte standen sie mir zu Berge, weil ich die Schüler um mich herum nicht ertragen konnte. Der Workshop war ein Magnet für all diese schrägen Typen: viele missbrauchte Frauen und eine ganze Menge durchgeknallter Spinner, die mit dem ganzen Larifari-New-Age-Scheiß um sich schmissen. Ein Typ machte sich an mich heran und verkündete: »Wir waren in einem früheren Leben ein Liebespaar.« Mit dem Satz hast du gewonnen, das kommt ja gleich nach: »Magst du mit hochkommen und dir meine Briefmar kensammlung anschauen.« Ich war so allergisch gegen all dieses Zeugs. Als Yogalehrerin arbeitete und lebte ich in diesem sehr skur rilen New-Age-Markt, der so voller trügerischer Versprechungen war, dass es mir peinlich war, damit assoziiert zu werden; ich war be sorgt, dass alles, was ich der Welt zu bieten hatte, in derselben Schub lade des Nichtnahrhaften landen würde. Ich nenne diesen süßli chen, krank machenden Prozess »spirituelle Diabetes«.
Doch Rosalyn schien ihren eigenen inneren Bullshit-Detektor zu haben. Sie fegte die aktuellen Trends beiseite: »Affirmationen sind wie Schlagsahne auf Abfall«, sagte sie uns. »Ihr könnt ihn zwar versüßen, doch er bleibt trotzdem Abfall.« Aber sie hatte auch Kräfte, die ich nicht verleugnen konnte, selbst wenn ich es gewollt hätte. Als Rosalyn Menschen channelte, die sie als »nicht inkarnierte Wesen« bezeichnete, imitierte sie nic ht einfach nur beispielsweise eine n al ten Chinesen – diese Dorfmama wurde durch Transformation in Stimme und Körpersprache geradezu zu ihm –, ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie. War sie einfach eine melodramatische Diva oder eine ausgezeichnete Schauspielerin? Wenn es eine Masche war, dann war sie ziemlich ausgefeilt. Sie machte sich ständig über meine Zweifel lustig und erklärte: »Hier geht es nicht darum, ob es Mediumismus überhaupt gibt. Wenn du dich das immer noch fragst, brauchst du gar nicht erst zu diesem
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