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Die Zahl

Die Zahl

Titel: Die Zahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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aber auch niemandem zu nahe treten und in offenen Wunden herumstochern.
    »Hallo?«, meldete sich ein Stimmchen so dünn wie Butterbrotpapier und beendete damit Morells Grübelei.
    »Tut mir leid, dass ich dich in dieser schweren Zeit belästigen muss, Iris«, sagte er und versuchte dabei so einfühlsam wie möglich zu klingen, »aber wir sollten dringend noch einmal miteinander reden.«
    »Um ehrlich zu sein, fühle ich mich noch nicht in der Lage dazu«, sagte das Stimmchen und wurde von einem Weinkrampf erschüttert.
    Morell hörte, wie Maria auf Iris einredete, dann krachte es in seinem Ohr – sie hatte wohl den Hörer fallen gelassen.
    »Hallo? Otto? Bist du noch da? Hier ist noch einmal Maria. Es tut mir leid, aber Iris steht unter Schock und ist einfach noch nicht in der Lage, über das Geschehene zu sprechen.«
    Schon wieder jemand, der das Wort ›Mord‹ nicht in den Mund nehmen wollte, dachte Morell. »Wann wird sie denn so weit sein?«, fragte er. »Du verstehst doch sicher, dass ich nicht anrufen würde, wenn es nicht ausgesprochen wichtig wäre.«
    »Schon klar«, sagte Maria. »Der Arzt hat Iris Beruhigungsmittel verschrieben, vielleicht kann sie mit dir sprechen, sobald die ein wenig wirken.«
    »Verstehe«, Morell konnte sein Pech nicht fassen. Er hatte nicht den Hauch einer Ahnung, wie er mit seinen Ermittlungen weitermachen sollte, und die wahrscheinlich einzige Person, die vielleicht ein wenig Licht in die Sache bringen konnte, stand unter Drogen.
    »Josefs Mutter möchte übermorgen eine Trauerfeier abhalten, damit die Seele ihres Sohnes ein wenig Ruhe findet«, unterbrach Maria Morells Gedanken. Da waren sie wieder, die strenggläubigen Katholiken, dachte er.
    »Sie will nicht so lange warten, bis der Leichnam endlich zur Bestattung freigegeben wird. Das kann nämlich noch einige Zeit dauern, aber wem erzähle ich das. Vielleicht kommst du einfach auch in die Kirche. Der Pfarrer wird ein paar tröstende Worte sprechen und einen Gottesdienst in Josefs Namen abhalten. Anschließend gibt es ein paar Erfrischungen beim Kirchenwirt.«
    »Gut«, sagte Morell, der es eigentlich gar nicht gut fand, noch zwei Tage warten zu müssen. Er räusperte sich. »Maria, ich muss dich das jetzt leider fragen, aber weißt du, ob es in der Ehe von Iris und Josef Probleme gab?«
    »Oh nein, du denkst doch nicht etwa, dass ...?« Ihre Stimme überschlug sich. »Ich halte es für eine bodenlose Frechheit, so etwas auch nur anzudeuten! Wie kannst du bloß so gemein sein. Als wenn die arme Iris nicht schon gestraft genug wäre!«
    »Bitte versteh mich doch«, versuchte Morell seine aufgebrachte Gesprächspartnerin wieder zu beschwichtigen. »Ich wollte auf keinen Fall taktlos wirken, aber bei so einem Fall sind zunächst einmal alle Menschen aus dem näheren Umfeld des Opfers verdächtig. Ich muss einen nach dem anderen ausschließen.«
    »Gut! Dann schließ Iris jetzt gleich aus!«, forderte die entrüstete Maria. »Sie und Joe führten eine gute Ehe. Streit gab es nur ganz selten. Was bist du nur für ein herzloser Mensch! Iris hat ihren Joe über alles geliebt, das kannst du mir glauben!« Marias Stimme hatte mittlerweile unerwartete Höhen erklommen.
    »Schon gut, schon gut«, sagte Morell, der befürchtet hatte, dass so etwas geschehen würde. Gab es denn keine normalen Frauen mehr? Entweder sie bedrängten ihn, nahmen Beruhigungsmittel, schrien ihn an oder schnitten tote Menschen auf. Und da sollte noch einmal jemand fragen, warum er alleine lebte. Er schüttelte den Kopf und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.
    »Du darfst nicht einmal im Traum daran denken, dass Iris etwas mit der Sache zu tun hat! Joe hatte keine Lebensversicherung oder ein großes Vermögen. Sein Tod beschert seiner Familie nur Trauer und Leid und bringt ihr überhaupt keinen Nutzen. Und nein, Otto, es gibt auch keinen anderen Mann in Iris’ Leben, du musst also deine dreckige Phantasie erst gar nicht bemühen. Wirf doch lieber einmal ein Auge auf die Russen, die im Hotel Berghof wohnen, anstatt anständige Leute zu belästigen.«
    »Ich danke dir, Maria«, sagte Morell, dessen einziger Wunsch nur noch darin bestand, das Gespräch so schnell wie möglich zu beenden.
    »Oder, besser noch, nimm doch mal Karl Kaiser ins Visier, den Besitzer vom ›Hype‹«, meldete sich Maria wieder zu Wort. »Der hatte nämlich Streit mit dem Josef.«
    Morell horchte auf. »Worum ging’s denn da bei dem Streit?«
    »Ach, das frag den Herrn Kaiser am besten

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