Die Zahl
selbst«, wich Maria aus. »Hast du denn überhaupt keine Spur oder einen Verdacht, wer es gewesen sein könnte?«
›Ich habe nicht die geringste Ahnung, und alles, was ich weiß, ist, dass es ganz sicher nicht die Russen waren‹, dachte Morell. Immerhin war der Tipp mit Karl Kaiser schon einmal etwas, dem er nachgehen konnte. »Du musst verstehen, dass ich über die laufenden Ermittlungen leider keine Auskunft geben kann«, sagte er. »Du hast mir aber schon sehr geholfen. Richte der Familie bitte noch einmal mein aufrichtiges Beileid aus.«
»Werde ich machen, Otto.«
Als Morell den Hörer aufgelegt hatte, vergrub er sein Gesicht in
den Händen, fuhr mit den Fingern durch seine Haare und fragte sich, was er denn verbrochen hatte, um so etwas zu verdienen. Wenigstens hatte er nun jemanden, den er befragen konnte. Morell kannte Karl Kaiser, den Betreiber des sehr gut besuchten Etablissements namens ›Hype‹, nur zu gut. Er hatte einige Beschwerden von besorgten Müttern vorliegen. Diese warfen Kaiser vor, dass es in seiner Bar Sex für Geld zu kaufen gab und dass er Alkohol an Jugendliche ausschenken würde. Der Chefinspektor hatte dem Barbesitzer aber nie etwas nachweisen können. Seine Bücher waren sauber geführt, er hielt sich an die Hygienevorschriften, und die Mädchen, die bei ihm arbeiteten, waren alle volljährig. Dass die eine oder andere manchmal einen Gast mit auf ihr Zimmer nahm, konnte Morell nicht verbieten. Die Jungs, die er des Öfteren in der Nähe von Kaisers Club betrunken aufgabelte, schworen stets Stein und Bein, dass sie den Alkohol im Supermarkt gekauft hatten.
Morell beschloss, dass er Herrn Kaiser jetzt sofort einen Besuch abstatten würde. Er trank seinen Tee aus und machte sich auf den Weg.
Karl Kaiser öffnete die Tür in einem seidenen Morgenmantel, der mit chinesischen Motiven bedruckt war. Das Klischee des schmierigen Zuhälters hätte er nicht besser erfüllen können, dachte sich Morell. »Habe ich Sie geweckt?«, fragte er.
»Nein«, entgegnete Kaiser, der ausgesprochen müde dreinblickte. Seine Augen waren zu kleinen Schlitzen verengt, und sein sonst so gepflegtes Gesicht war unrasiert und aufgequollen. »Ich wollte gerade ins Bett gehen. Ich habe eine lange Nacht hinter mir. Sie haben Glück, Herr Chefinspektor, denn sobald ich erst einmal an der Matratze horche, können Sie das Haus um mich herum abreißen und ich würde es nicht merken. Kommen Sie!« Er machte einen Schritt zur Seite und winkte den Polizisten mit einer schwungvollen Geste herein.
Morell betrat das Haus. Hätte er die Einrichtung mit drei Worten beschreiben sollen, hätte er ›überladen, schwülstig und protzig‹ gewählt. Das Haus war ein Albtraum in Rot und Gold. Überall, wo Morell hinsah, erblickte er Spiegel, Lüster, Tierfelle, Leder und viel überflüssigen Schnickschnack, wie zum Beispiel einen Zimmerbrunnen oder einen Servierwagen. Komischerweise hatte er nichts anderes erwartet. Es war schon lustig, wie manche Menschen die Vorurteile erfüllten, die man über sie hatte.
Kaiser führte Morell in die Küche, in der man, so wie im Rest des Hauses, eher das Gefühl hatte, sich in einem barocken Schloss als in einem Einfamilienhaus zu befinden.
»Kaffee, Tee, Saft oder einen kleinen Prosecco?«, fragte Kaiser, nachdem Morell sich an den Küchentisch gesetzt hatte.
»Ich nehme einen Tee, wenn es keine Umstände macht.«
»Aber keineswegs«, sagte Kaiser und öffnete einen Küchenschrank. »Welche Sorte darf es denn sein? Ich habe alles hier, was das Herz begehrt.« Er grinste selbstsicher.
»Wirklich alles? Dann nehme ich einen Rotbusch-Rosmarin-Tee«, sagte Morell, der sich sicher war, dass Kaiser den nicht hatte.
»Mit oder ohne Zucker?«, fragte der aber nur. »Oder nehmen Sie Süßstoff?«
»Ohne alles«, sagte Morell und war ein kleines bisschen enttäuscht. Er hätte so gerne das süffisante Grinsen von Kaisers Gesicht verschwinden gesehen.
»Nun, was führt Sie zu mir, Herr Chefinspektor?«, wollte Kaiser wissen, als er eine dampfende Tasse vor Morell stellte, die tatsächlich Rotbusch-Rosmarin-Tee enthielt. »Welche Mutter gibt mir denn diesmal die Schuld an der Entjungferung ihres Sprösslings?«
Kaiser hatte sich ein Glas Prosecco eingeschenkt und setzte sich gegenüber von Morell an den Tisch. »Wenn diese dummen Glucken nur nicht so blind wären. Die Jugend hier auf dem Land ist alles
andere als unschuldig und unverdorben. Die brauchen das ›Hype‹ nicht, um sich zu
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