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Die Zahl

Die Zahl

Titel: Die Zahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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Gehirn. Einen Mind-Eraser! Er schob die Fotos vom Tatort an den Rand seines Schreibtisches und legte ein Blatt Papier darauf.
    »Nachdem die Kriminalbeamten die Fotos gesehen hatten«, fuhr Bender unbeirrt fort, »kamen sie zu dem gleichen Schluss wie Sie. Sie meinten, dass es sich bei den Schnitten wohl um die römische Zahl Zwölf handelt.«
    »Und?«, wollte Morell wissen. »Ist dir oder den Jungs in Wien irgendetwas Sinnvolles zum Thema Zwölf eingefallen?«
    »Nicht wirklich, aber ich war gerade dabei, ein wenig nachzuforschen«, erklärte Bender. »Warten Sie.« Er rannte in Windeseile aus Morells Büro und kam wenige Augenblicke später mit einem Blatt Papier in der Hand zurück. »In Landau gibt es 88 Straßen, Gassen und Wege und daher auch 88 Häuser mit der Hausnummer Zwölf.«
    »Josef Anders lebte in der Sonnblickstraße 14 «, warf Morell ein, »aber egal, erzähl weiter.«
    »Wir haben im Ort 32 Wohn- oder Appartementhäuser, in denen sich zwölf Wohnungen oder mehr befinden.«
    »Also 32 -mal Tür, Wohnung oder Top Nummer Zwölf.«
    »Genau«, sagte Bender. »In den Hotels gibt es je ein Zimmer Nummer Zwölf; bei den drei Banken je ein Schließfach mit der Nummer; am Golfplatz gibt es das Loch mit der Nummer Zwölf, und natürlich gibt es im Ort viele Kfz- und Telefonnummern, die die Zahl enthalten könnten.«
    Morell atmete tief ein und schaute aus dem Fenster, in dessen oberer linken Ecke ein Stück grauer Himmel zu sehen war. Einerseits freute er sich über die Energie und den Enthusiasmus, mit denen sein Assistent an den Fall heranging, andererseits fand er, dass Bender weit übers Ziel hinausschoss. Er überlegte kurz und entschloss sich dann, Benders Begeisterung noch nicht zu bremsen. Solange sie keine besseren Anhaltspunkte hatten, konnte es ja nicht schaden, wenn er Straßen, Wohnungen und die Löcher im Golfplatz zählte.
    »Gut gemacht!«, sagte Morell deshalb und nickte dem jungen Kollegen anerkennend zu. »An dir ist wirklich ein Kriminalpolizist verlorengegangen.«
    Bender errötete leicht aufgrund des unerwarteten Kompliments und versuchte, so unberührt und cool wie möglich dreinzublicken.
    »Mach mir doch bitte eine Liste mit allen Menschen, die in einem Haus oder einem Zimmer mit der Nummer Zwölf wohnen«, sagte Morell. »Finde auch heraus, wer die Schließfächer bei den Banken gemietet hat, und schau nach, ob es vielleicht eine Telefon- oder Autonummer gibt, die auffällig viele Zwölfen enthält.«
    »Wird erledigt«, sagte Bender und stand mit stolzgeblähter Brust auf.
    Der Chefinspektor schaltete seinen Computer ein und öffnete seine Schreibtischschublade, um sich aus den zwanzig verschiedenen Teesorten, die sich darin befanden, eine auszuwählen. Er griff gerade nach einem Teebeutel der Sorte ›Griechische Bergkräuter‹, als Bender sich räusperte.
    »Da ist noch etwas, Chef. Sie werden jetzt wahrscheinlich wieder sagen, ich hätte zu viele schlechte Filme gesehen, aber ich habe mir überlegt, ob ich nicht einmal in der Bibel nachschlagen soll. Sie wissen schon, so etwa in die Richtung Kapitel 12 , Vers 12 . Weil der Tote doch an der Kirche aufgehängt worden ist.«
    Morell war überrascht, auf diese Idee war er noch gar nicht gekommen.
Er gab den Teebeutel in seine Lieblingstasse und schaltete den Wasserkocher, der auf dem Fensterbrett stand, ein.
    »Es gibt im Ort einige Leute, die katholischer sind als der Papst«, redete Bender weiter. »Es wäre doch möglich, dass einer von ihnen durch die Bibel zu dem Mord inspiriert wurde.«
    »Und was ist mit ›Du sollst nicht töten‹?«, warf Morell ein.
    Bender, der die Möglichkeit eines religiös angehauchten Mordes wahnsinnig spannend fand, wollte sich so schnell nicht von seiner Theorie abbringen lassen. Er dachte kurz nach. »Vielleicht war es ein fehlgeschlagener Exorzismus?«
    Morell fand, dass dieses Gespräch nun doch wieder langsam ins Absurde abglitt. Wie hatte sich sein schönes Leben nur so wahnsinnig schnell in diese Farce verwandeln können? Vor einer Woche war er noch damit beschäftigt gewesen herauszufinden, wer den Engeln, die als Weihnachtsdekoration vor dem Rathaus standen, Bärte aufgemalt hatte. Jetzt musste er mit einem halb verwesten, grausam abgeschlachteten Mordopfer klarkommen, und Bender, der normalerweise unmotiviert hinter seinem Schreibtisch herumlungerte und gähnend die Stunden bis zum Feierabend zählte, übernachtete im Büro und legte eine unerwartet blühende Phantasie an den Tag. Wo

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