Die Zahl
sind.«
Lorentz zuckte zusammen. »Das weiß doch mittlerweile jeder im Ort«, sagte er kleinlaut.
»Und woher weißt du es?«, hakte Morell nach, um jetzt ein für alle Mal Gewissheit zu haben.
»Stefan de Vries hat es mir nach der Trauerfeier erzählt, und soweit ich das mitbekommen habe, hatte er es von Frau Schubert.«
Morell schnaubte. Diese fürchterliche Frau raubte ihm wirklich noch den letzten Nerv.
»Es ist doch ganz egal, woher ich die Information habe. Fakt ist, dass ich es weiß«, fuhr Lorentz fort, holte tief Luft und sah Morell an. »Also, Joe und ich waren früher die besten Freunde, vor ein paar Tagen wurde er in Zusammenhang mit der Zahl Zwölf ermordet, und ich kriege kurz darauf einen Brief, auf dem zwölf komische Begriffe stehen, von denen die ersten drei Todessymbole sind.«
»Und die anderen neun?«, wollte Morell wissen. »Wofür stehen die?«
»Keine Ahnung. Die anderen drei Reihen passen nicht zu der ersten. Ich glaube, dass jede Zeile für einen Begriff steht.«
»Na gut«, sagte Morell und schüttelte ungläubig den Kopf. »Nur einmal angenommen, du hättest damit recht, wie kommst du darauf, dass die erste Zeile für ›Tod‹ steht?«
»Ich erkläre es dir«, sagte Lorentz, der mittlerweile seine Selbstsicherheit wiedererlangt hatte. »Im Mittelalter war es Brauch, vor der Vollstreckung eines Todesurteils einen Stab über dem Verurteilten auseinanderzubrechen. Das sollte ein Zeichen dafür sein, dass er sein Leben verwirkt hatte. So weit klar?«
Morell nickte.
»Der Schmetterling ist ein sogenanntes ›Memento Mori‹. Das ist Latein und heißt übersetzt so viel wie ›Bedenke, dass du sterben musst‹. Memento Mori sind Symbole in Bildern oder Skulpturen, die an den Tod und die Vergänglichkeit der Menschen erinnern sollen. Es gibt viele verschiedene Motive: Seifenblasen, Sanduhren, abgebrannte Kerzen, faules Obst oder eben Schmetterlinge.«
»Und was ist mit dem Blatt?«
»In der islamischen Mythologie bestimmt Allah jeden Tag, welche Menschen sterben sollen. Sobald er das getan hat, fallen vom
sogenannten Weltenbaum jene Blätter ab, auf denen die Namen dieser Auserwählten stehen.«
Morell kratzte sich am Kopf. »Man könnte das Ganze doch auch als heimlichen Liebesbrief deuten, der dir zum Beispiel sagen will ›Du bist ein schöner Schmetterling, lass mich das Blatt sein, auf dem du landest‹.« Er kramte in seiner Schublade. Die Rolle des Stabes wollte er lieber nicht weiter ausführen. »Tee?«, fragte er.
Lorentz verneinte und starrte den Chefinspektor mit offenem Mund an. »Ich glaube, dass ›Das Urteil ist gefallen, Menschen sind vergänglich, der Tag des Todes ist gekommen‹ es besser trifft«, sagte er, als er die Sprache wiedergefunden hatte.
»Du übertreibst maßlos. Ich bin sicher, dass das alles nur ein böser Scherz ist.«
»Und wenn mir was passiert?! Krieg ich gar keinen Polizeischutz?«
»Dir wird schon nichts geschehen. Irgendjemand will dich auf den Arm nehmen, das ist alles. Ich bin mir sicher, dass es in Landau mehr als nur einen Menschen gibt, den du im Laufe der Jahre vor den Kopf gestoßen hast.« Der Chefinspektor gab Lorentz durch einen eindeutigen Blick zu verstehen, dass das Gespräch hiermit beendet war, und wandte sich wieder seinem Crostini zu. Leander stapfte beleidigt aus dem Büro.
Morell nahm gerade einen letzten Bissen und gratulierte sich innerlich zu dem wirklich guten Feigenmus, das er in mühevoller Arbeit selbst eingekocht hatte, als ein lautes ›Haaalllöööcheeen‹ aus dem Vorzimmer dazu führte, dass ihm sein Snack regelrecht im Hals steckenblieb – Agnes Schubert war auf dem Revier eingefallen.
Morells erste Reaktion war die instinktive Suche nach einem Fluchtweg. Sein Büro hatte nur eine Tür, und die führte direkt in den Vorraum, in dem sein ganz persönlicher Albtraum gerade stand. Blieb also nur noch das Fenster. Das Polizeirevier war ein kleiner, ebenerdiger Bau. Was die Höhe betraf, wäre es für den
Chefinspektor also kein Problem gewesen, sich aus dem Fenster zu quetschen. Nur dumm, dass dieser Fluchtweg direkt auf die Straße führte. Was sollte er also etwaigen Passanten erzählen?
Nein! Er war ein ganzer Mann, redete Morell sich ein. Er wollte seine Würde bewahren und sich dem Feind stellen. Er hatte so oder so noch ein Hühnchen mit der Schubert zu rupfen. Sie hatte ihm hoch und heilig versprochen, ihr dummes Plappermaul zu halten und keine Details über den Mordfall weiterzuerzählen – und
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