Die Zahl
der gerade dabei war, ein Crostini mit Feigenmus und Brie zu essen, sah ihn verärgert an. »Wir haben das doch gestern schon besprochen, Leander«, sagte er, und in seiner Stimme schwang ein bedrohlicher Unterton. »Wir können hier sehr gut auf deine Hilfe verzichten.«
Lorentz wollte etwas entgegnen, brachte aber nur ein Keuchen zustande.
Hinter ihm erschien Bender in der Tür. »Tut mir leid, Chef, aber er ist einfach an mir vorbeigerannt.« Er machte eine entschuldigende Geste. »Ich hatte keine Chance, ihn aufzuhalten. Soll ich ihn rauswerfen?«
»Nein, ist schon in Ordnung«, sagte Morell zu seinem Assistenten. »Ich kümmere mich um ihn. Geh ruhig wieder zurück an deine Arbeit.«
Bender nickte. »Rufen Sie mich, wenn Sie Hilfe brauchen.« Er deutete auf Lorentz.
»Danke, Robert«, sagte Morell und wartete, bis Bender die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Du hast fünf Minuten«, sagte er zu
Lorentz. »Und ich warne dich – wenn du wieder gekommen bist, um meine Zeit zu verschwenden, dann lasse ich dich von meinem Inspektor rauswerfen und hänge dir ein Bußgeld wegen Behinderung der Polizeiarbeit an.« Morell schaute Lorentz direkt in die Augen. »Haben wir uns verstanden?«
Lorentz, der noch immer so außer Atem war, dass er kaum sprechen konnte, legte dem Chefinspektor den Frischhaltebeutel samt Brief auf den Tisch. »Irgendwer will mich umbringen«, japste er.
›Wen wundert’s? Da fallen mir gleich mehrere Personen ein, die dafür in Frage kommen würden‹, dachte Morell, sagte aber nichts. Stattdessen nahm er den Beutel und sah sich das Schreiben an.
»Na, dann lass mal hören«, sagte er. »Ich bin schon sehr gespannt zu erfahren, was das hier sein soll«, er zeigte auf das eingetütete Blatt Papier. »Wie kommst du darauf, dass das eine Morddrohung ist?« Er sah Lorentz, der sich keuchend das Handgelenk rieb, fragend an. »Und wehe, wenn ich draufkomme, dass du dir hier nur einen blöden Scherz erlaubst! Mir ist nämlich gerade gar nicht nach Schabernack zumute. Hast du das kapiert?«
Lorentz setzte sich und rang nach Luft. »Diese Nachricht wurde heute Morgen in den Briefkasten meiner Eltern gesteckt. Sie war an mich adressiert.«
»Und wo liegt das Problem?«, fragte Morell, der nicht verstehen konnte, warum Lorentz wegen eines bestempelten Stück Papiers so einen Aufstand machte. »Ich kann hier kein einziges Mal das Wort ›Mord‹ entdecken«, sagte er und legte den Brief wieder auf den Tisch.
»Genau das ist es eben«, sagte Lorentz, der langsam wieder zu Atem kam. »Da hat sich jemand wirklich Mühe gegeben.«
Morell verstand zwar nur Bahnhof, aber die Panik in Lorentz’ Gesicht schien echt zu sein. Daher beschloss er, ihm weiter zuzuhören. »Dann mal raus mit der Sprache. Wie kommst du darauf, dass dich jemand umbringen will?« Als Lorentz nicht sofort antwortete,
wurde er ungeduldig. »Mach schon, ich hab noch einen Mordfall zu bearbeiten und nicht den ganzen Tag Zeit.«
»Hier«, Lorentz nahm den Beutel vom Tisch und zeigte auf die erste Zeile des Briefes. »Stab – Schmetterling – Blatt.« Er sah Morell an. »Für einen normalen Menschen sind das nur drei wahllose Begriffe, aber jemand, der ein wenig geisteswissenschaftlich gebildet ist, weiß, dass das Todessymbole sind. Verstehst du jetzt?«
»Nein«, sagte Morell und musterte Lorentz. Er war sich nicht sicher, ob dieser Angeber sich nur wichtig machen wollte oder ob er den Blödsinn, den er da von sich gab, tatsächlich glaubte. Er entschied sich, Lorentz zumindest eine Chance zu geben. »Erklär’ es mir.«
»Was diese drei Begriffe gemeinsam haben, ist der Tod.«
»Jetzt sei nicht so melodramatisch«, sagte Morell.
»Und fällt dir noch etwas auf?«, unterbrach ihn Lorentz und schob dem Chefinspektor die Nachricht zu.
Morell nahm die Tüte und sah sich das Papier noch einmal an.
»Na?«, fragte Lorentz.
»Keine Ahnung«, sagte Morell und zuckte mit den Schultern. »Aida ist eine Oper, und der Rest sagt mir ehrlich gesagt nicht wirklich viel.«
»Zähl nach!«, forderte Lorentz ihn auf. »Es sind genau zwölf Begriffe, und die Zahl Zwölf sollte dir etwas sagen, soweit ich informiert bin.«
Morell wurde schlagartig rot im Gesicht. »Woher weißt du das mit der Zwölf?«, zischte er zornig, obwohl ihm nach dem Gespräch mit Frau Vogelmann ziemlich klar war, dass Agnes Schubert ihr Plappermaul nicht hatte halten können. »Das sind polizeiinterne Informationen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt
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