Die Zahlen Der Toten
Morde gingen weiter …
Am Ende des darauf folgenden Jahres waren vier Frauen tot. Alle starben durch Ausbluten. Alle erlitten Höllenqualen. Und allen hatte der Mörder eine fortlaufende römische Zahl auf den Unterleib geritzt, als führe er eine Art krankhafte Strichliste seiner Bluttaten.
Ich betrachte mir die Fotos vom Fundort und der Autopsie und fange an zu schwitzen. Die vielen Übereinstimmungen mit dem Mordopfer von heute Morgen sind nicht zu übersehen. Ich weiß, was die Bürger von Painters Mill denken werden: Der Schlächter ist zurückgekehrt. Nur drei Menschen auf der ganzen Welt wissen, dass das unmöglich ist, und ich bin einer von ihnen.
Als es an der Tür klopft, schrecke ich hoch. »Es ist offen.«
Mona kommt herein, stellt mir eine Tasse Kaffee und eine Großpackung Tylenol auf den Schreibtisch. Ihr Blick fällt auf die Akte. »Eine Frau von Coshocton County ist auf Leitung eins. Ihre Tochter ist gestern Abend nicht nach Hause gekommen. Norm Johnston ist auf der Zwei.«
Norm Johnston ist einer von sechs Stadträten, aggressiv, egozentrisch und schwer zu ertragen. Letztes Frühjahr habe ich ihn wegen Trunkenheit am Steuer verhaftet, woraufhin er seine Hoffnung, auf der politischen Leiter von Painters Mill bis ins Bürgermeisteramt hochzuklettern, ad acta legen konnte. Seitdem mag er mich nicht mehr. »Sagen Sie Norm, ich rufe ihn zurück«, erwidere ich und drücke die Eins.
»Hier ist Belinda Horner. Meine Tochter Amanda ist Samstagabend mit ihrer Freundin ausgegangen, und seither habe ich nichts mehr von ihr gehört.« Die Frau spricht zu schnell, klingt panisch und atemlos. »Ich habe geglaubt, dass sie bei Connie übernachtet, was sie manchmal tut. Aber als sie sich heute immer noch nicht gemeldet hat, hab ich angerufen und erfahren, dass sie seit Samstagnacht niemand mehr gesehen hat. Ich mache mir wirklich Sorgen.«
Heute ist Montag. Ich schließe die Augen und bete, dass die Tote in der Leichenhalle von Millersburg nicht ihre Tochter ist. Aber ich habe kein gutes Gefühl. »Ist sie schon öfter so lange weggeblieben, Ma’am? Oder ist es ungewöhnlich für sie?«
»Sie ruft immer an, wenn sie woanders übernachtet.«
»Wann hat ihre Freundin sie zuletzt gesehen?«
»Samstagabend. Connie ist manchmal furchtbar verantwortungslos.«
»Haben Sie schon bei der State Highway Patrol nachgefragt?«
»Die haben gesagt, ich soll mich ans örtliche Polizeirevier wenden. Ich habe Angst, dass sie in einen Autounfall verwickelt war. Ich rufe jetzt die Krankenhäuser an.«
Ich nehme einen Block und Kuli zur Hand. »Wie alt ist Ihre Tochter?«
»Einundzwanzig.«
»Wie sieht sie aus?«
Die Beschreibung, die sie mir gibt, passt auf die Tote. »Haben Sie ein Foto?«, frage ich.
»Natürlich.«
»Können Sie mir das neueste faxen?«
»Hm … ich hab kein Faxgerät, aber mein Nachbar hat einen Computer und Scanner.«
»Gut. Scannen Sie das Foto und schicken Sie es als E-Mail-Anhang. Geht das?«
»Ich denke schon.«
Beim Notieren ihrer Kontaktdaten fällt mein Blick aufs Telefon, wo alle vier Leitungslämpchen wild blinken. Ich ignoriere es und gebe ihr meine E-Mail-Adresse. Als ich schließlich auflege, ist mein Magen wie zusammengeschnürt, doch ich habe die Befürchtung, dass der heutige Tag für Belinda Horner noch viel schlimmer wird als für mich.
Mona klopft kurz an und steckt den Kopf durch die Tür. »Die State Highway Patrol ist auf der Eins, Columbus’ Regionalsender Kanal Sieben auf der Zwei und Doc Coblentz auf der Drei.«
Ich drücke die Taste für Leitung drei und murmele meinen Namen.
»Ich fange jetzt mit der Autopsie an«, sagt der Arzt. »Ich dachte, Sie wollen das vielleicht wissen.«
»Ich bin in fünfzehn Minuten bei Ihnen.«
»Wissen Sie schon, wer es ist?«
»Möglicherweise.«
»Gütiger Gott, steh der Familie bei.«
Und uns auch, füge ich im Stillen hinzu.
In den nächsten zehn Minuten erledige ich Anrufe, dann öffne ich mein E-Mail-Programm, klicke auf Senden/Empfangen und sehe, dass ich eine E-Mail mit Anhang von J. Miller im Posteingang habe.
Ich öffne den Anhang und starre entsetzt auf das Foto einer jungen Frau mit schönen blauen Augen, dunkelblonden Haaren und einem strahlenden Lächeln. Die Ähnlichkeit ist unverkennbar. Und ich weiß, dass Amanda Horner nie wieder so lächeln wird.
Ich wähle Doc Coblentz’ Durchwahl und warte ungeduldig, dass er abnimmt. »Warten Sie mit der Autopsie.«
»Ich dachte, es wäre eilig.«
Ich klicke auf
Weitere Kostenlose Bücher