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Die Zahlen Der Toten

Die Zahlen Der Toten

Titel: Die Zahlen Der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Castillo
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und das Leben dieser Frau zu zerstören. »Gibt es jemanden, den Sie anrufen und herbitten können, Ma’am? Ihren Mann oder sonst jemand in der Familie?«
    »Ich brauche niemanden. Amanda ist nicht tot.« Sie schnappt nach Luft, drückt die Hand auf den Bauch. »Sie lebt.«
    »Es tut mir leid.« Selbst in meinen Ohren klingen die Worte hohl.
    Sie ballt die Hände zu Fäusten und presst sie an die Schläfen. »Sie ist nicht tot. Das hätte ich gespürt.« Unsägliches Leid steht in ihren Augen, als sie mich anblickt. »Die Polizei hat einen Fehler gemacht. Das hier ist eine kleine Stadt. Andauernd passieren Fehler.«
    »Sie ist noch nicht identifiziert, aber wir glauben, dass sie es ist«, sage ich. »Es tut mir sehr leid.«
    Ruckartig wendet sie sich von uns ab und geht ans andere Ende des Zimmers. Ich werfe Glock einen Blick zu. Er sieht so aus, wie ich mich fühle, nämlich dass er lieber ganz weit weg wäre und nicht in diesem überheizten, vollgestopften Wohnwagen, wo die Welt dieser Frau gerade zusammenbricht. Unsere Blicke treffen sich. Sein Nicken tut mir gut, und ich frage mich, ob er weiß, wie sehr ich im Moment dieses kleine Zeichen von Unterstützung brauche.
    Zum ersten Mal ergreift er das Wort. »Mrs Horner, ich weiß, wie schwer das ist, aber wir müssen Ihnen ein paar Fragen stellen.«
    Sie dreht sich um und blickt ihn an, als sehe sie ihn zum ersten Mal. Tränen glänzen in ihren Augen. »Wie ist sie …«
    Sie weiß, dass noch mehr kommt, ich sehe es in ihren Augen. Manche Menschen haben einen sechsten Sinn für drohendes Unheil. Der Ausdruck in ihrem Gesicht, als wäre sie auf alles gefasst, die müden Augen – all das verrät mir, dass sie im Leben schon einiges eingesteckt hat.
    »Die Frau, die wir gefunden haben, wurde ermordet«, antworte ich.
    Belinda Horner stößt einen Laut aus, halb Schrei, halb Wehklage. Sie starrt mich an, als wollte sie auf mich, die Überbringerin dieser furchtbaren Nachricht, losgehen. Ich wappne mich, doch sie verharrt auf der Stelle, bleibt endlose Sekunden bewegungslos stehen, wie festgefroren. Dann läuft ihr Gesicht tiefrot an. »Nein!« Ihre Lippen zittern. »Sie lügen.« Ihr Blick schießt zu Glock. »Sie alle beide!«
    Da ich ihr nicht in die leidvollen Augen sehen kann, konzentriere ich mich auf einen Fleck im Teppichboden. Doch dann stößt sie einen wilden Klageschrei aus, ich blicke wieder auf und sehe, dass sie vornübergebeugt dasteht, als hätte ihr jemand einen Schlag in die Magengrube versetzt. Als sie mich ansieht, ist ihr Gesicht tränenüberströmt. »Bitte sagen Sie mir, dass das nicht stimmt.«
    Es ist nicht das erste Mal, dass ich schlechte Nachrichten überbringen muss. Vor zwei Jahren, gleich in meiner ersten Woche hier, musste ich Jim und Marilyn Stettler mitteilen, dass ihr sechzehn Jahre alter Sohn mit seinem nagelneuen Mustang frontal gegen einen Telefonmast gerast war und sich selbst und seine vierzehnjährige Schwester getötet hatte. Das war mit das Schlimmste, was ich im Laufe meiner Polizeiarbeit tun musste. Danach habe ich mich zum ersten Mal im Leben allein betrunken. Aber nicht zum letzten Mal.
    Ich gehe zu Belinda Horner, lege ihr die Hand auf die Schulter und drücke sie sanft. »Es tut mir so leid.«
    Sie schüttelt meine Hand ab und sieht mich an, als wolle sie mich in Stücke reißen. »Wie konnte das passieren?« Sie schreit jetzt, überwältigt vom Kummer und einer ohnmächtigen Wut, die außer Kontrolle zu geraten droht. »Wie konnte ihr jemand weh tun?«
    »Wir wissen es nicht, Ma’am, aber ich verspreche, dass wir alles tun, um es herauszufinden.«
    Sie starrt mich weiter an, dann packt sie ihre Haare, als wolle sie sie ausreißen. »O Gott. Harold. Ich muss Harold anrufen. Wie soll ich ihm denn sagen, dass unsere Kleine tot ist?«
    Das Telefon steht in der Ecke, ich gehe hin und nehme den Hörer ab. »Mrs Horner, lassen Sie mich anrufen. Sagen Sie mir seine Nummer?«
    Sie wischt sich mit dem Handrücken über die Augen, verschmiert die Wimperntusche. Mit zittriger Stimme nennt sie die Nummer. Als ich wähle, verfluche ich die Gewissheit, dass auch Harold Horners Welt gleich zusammenbrechen wird. Aber ich will die Frau nicht alleine lassen. Trotzdem muss ich einen Mord aufklären, und das kann ich nicht von hier aus.
    Horner nimmt nach dem ersten Klingeln ab. Ich sage, wer ich bin und dass es zu Hause einen Notfall gibt. Er fragt nach seiner Frau, und ich erwidere, dass ihr nichts fehlt. Als er nach seiner Tochter

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