Die Zahlen Der Toten
ihn nicht verärgern will, erzähle ich ihm von dem bevorstehenden Briefing und dass er gern dazukommen kann.
Ich kann sehen, dass ihn die Einladung freut. Er wird auf dem Laufenden gehalten, gehört dazu. »Ich muss wieder zurück. Der Sheriff wollte Sie nur wissen lassen, dass wir zur Verfügung stehen, falls Sie mehr Leute brauchen.«
Normalerweise hätte ich das Angebot sofort angenommen. Ich hätte eine Sonderkommission gebildet, in der die Kräfte mehrerer Behörden gebündelt würden und neben dem Büro des Sheriffs auch die State Highway Patrol und das Ohio Bureau of Criminal Identification and Investigation involviert. Doch das geht jetzt nicht. Ein halbes Dutzend übereifrige Polizisten im Nacken hätte mir gerade noch gefehlt.
Ich nehme mir vor, Detrick später anzurufen, um ihm persönlich zu danken und alle Vorwürfe, dass zu wenig gemacht wird, zurückzuweisen. »Wenn wir mehr Erkenntnisse haben, melde ich mich bei euch. Wir werden jede Hilfe brauchen, die wir kriegen können.«
»Klingt gut.« Er nickt kurz und geht.
Ich schenke Glock ein Lächeln. »Danke.«
»Keine Ursache.«
»Das Briefing ist in zwei Minuten.« Im Gehen füge ich hinzu: »Mein Büro, sagen Sie allen Bescheid, ja?«
Glock salutiert grinsend und eilt an seinen Schreibtisch.
Ich will mir noch schnell die Telefonnachrichten aus der Zentrale abholen, als Janine Fourman sich mir in den Weg stellt. »Chief Burkholder, ich würde gern kurz mit Ihnen sprechen.«
Der Wunsch, sie zu ignorieren, ist stark, doch ich widerstehe ihm. Sie ist eine gewichtige Frau, sowohl körperlich als auch hinsichtlich ihres Ansehens in der Gemeinde. Ich bin lange genug hier, um zu wissen, dass ich für jede Unhöflichkeit ihr gegenüber büßen müsste. Letztes Jahr hatte Janine bei der Bürgermeisterwahl kandidiert und verloren, aber nur, weil ein paar Leute herausfanden, dass sich hinter der Nette-Tante-Fassade eine Kreatur mit scharfen Krallen verbirgt. Auch mir gegenüber hat sie diese Krallen schon ein oder zwei Mal ausgefahren, und ich verspüre nicht den Wunsch, mich verbal misshandeln zu lassen, wenn ich einen Mord aufzuklären habe.
»Janine, ich habe gleich ein Meeting mit meinen Mitarbeitern.«
Sie ist etwa Mitte fünfzig, hat gefärbte schwarze Haare, kleine braune Augen und die kompakte Statur eines milchgefütterten Mastrinds. »Dann komme ich gleich zur Sache. In der ganzen Stadt redet man nur noch von dem Mord. Es heißt, der Serienmörder aus den frühen neunziger Jahren ist zurück. Stimmt das? Ist es der gleiche Kerl?«
»Ich werde nicht irgendwelche Vermutungen anstellen.«
»Haben Sie einen Verdächtigen?«
»Im Moment noch nicht.« Das Opfer scheint sie nicht zu interessieren.
»Und warum in aller Welt haben Sie Sheriff Detricks Hilfsangebot ausgeschlagen? Sie wollen doch nicht etwa versuchen, allein damit klarzukommen?«
Normalerweise kann ich mit aggressiven Strohköpfen wie Janine gut umgehen. Aber nach allem, was ich an diesem scheinbar endlosen Tag gesehen habe, gepaart mit meiner Müdigkeit und dem Gewicht der Verantwortung gegenüber dieser Stadt – und meines eigenen Geheimnisses –, bin ich mit meiner Geduld ziemlich am Ende.
»Ich habe Detricks Angebot nicht ausgeschlagen«, erwidere ich unwirsch. »Ich habe dem Deputy lediglich gesagt, dass ich das Büro des Sheriffs anrufe, sobald ich mich mit meinen Mitarbeitern zusammengesetzt habe und wir wissen, wo wir stehen.« Sie reißt die Augen auf, weil ich einen Schritt auf sie zumache, und ein Gefühl von Befriedigung durchströmt mich, als sie zurückweicht. »Und falls Sie vorhaben, mich zu zitieren, dann bitte korrekt.«
»Ich bin Mitglied des Stadtrats und habe ein Recht auf Antworten«, erwidert sie wütend.
»Sie haben ein Recht auf vieles, aber Sie haben
kein
Recht, Informationen auszuschmücken, die Sie zufällig mit angehört haben. Das gilt auch für falsches Zitieren, ist das klar?«
Ihr Mund wird zu einem dünnen Strich. Ihr Hals und ihre Wangen laufen rosarot an. »Es würde Ihnen zugute kommen, Chief Burkholder, wenn Sie mit den Menschen, die Sie bezahlen, besser kooperierten.«
»Ich werde es mir merken.« Da abzusehen ist, wo das Gespräch hinführt, will ich es beenden und werfe einen Blick zu meinem Büro. »Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen, ich muss arbeiten.«
Ich lasse sie stehen und marschiere zur Zentrale. »Nachrichten?«
Lois schiebt mir ein Bündel rosa Zettel hin, legt die Hand auf die Sprechmuschel des Telefons und
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