Die Zahlen Der Toten
hatte das Pistolenöl geschmeckt und die Angst, als seine Zähne auf den kalten Stahl klapperten.
Er drückte den Plastikverschluss auf und nahm zwei Xanax und eine Valium raus. Der Arzt hatte zwar gesagt, dass er sie nicht zusammen nehmen dürfe, doch mit der Trial-and-Error-Methode hatte er herausgefunden, welche Pillenkombination ihm am besten durch den Tag half.
Er zog die gerahmte Fotografie aus der Aktentasche und blies den Papierstaub und die Bleistiftspäne ab. Seine verstorbene Frau Nancy und seine zwei kleinen Mädchen, Donna und Kelly, lächelten, als könnte ihnen nichts auf der Welt etwas anhaben. Der Blick auf das Foto war auch nach all der Zeit nicht leichter geworden. Er hätte sie beschützen müssen.
John stellte es auf den Schreibtisch, schob sich die Pillen in den Mund und hob den Flachmann hoch. »Der ist für dich, Nancy«, flüsterte er und spülte sie mit hochprozentigem Whisky hinunter.
8. Kapitel
Als ich auf dem Polizeirevier eintreffe, sind alle sechs Parkplätze belegt, auch meiner. Am liebsten würde ich dem Besitzer einen Strafzettel verpassen, doch er hat Glück, weil ich nämlich Wichtigeres zu tun habe. Ein Ford Crown Victoria mit allen polizeilichen Extras verrät mir, dass die Leute vom Holmes County Sheriff’s Department eingetroffen sind. Ich kann Hilfe gut gebrauchen, habe aber keine Lust, um irgendwelche Zuständigkeiten zu konkurrieren, nur weil Sheriff Nathan Detrick im Herbst wiedergewählt werden will.
Ich parke neben dem Feuermelder und gehe zur Eingangstür. Der Geräuschpegel, der mir von drinnen entgegenschlägt, kann mit dem einer Highschool-Cafeteria während der Mittagspause problemlos konkurrieren. In der Zentrale sitzt Lois und sieht genauso gestresst aus wie ihr malträtiertes Haar. Über sie gebeugt steht eine Frau mittleren Alters in einem rosa Parka und mit großen Perlenohrringen. Ich stöhne innerlich, als mir klar wird, dass die Frau Janine Fourman ist.
Janine ist die Vorsitzende des Painters Mill Ladies Club, ihr gehören der Carriage Stop Country Store am Verkehrskreisel sowie der Tea and Candle Shop in der Sixth Street. Sie ist Mitglied des Stadtrats, Gründungsmitglied der Historischen Gesellschaft, eine professionelle Wichtigtuerin und Quelle vieler Gerüchte.
Glock und der Deputy des Sheriffs von Holmes County sehen von ihrem Gespräch auf. Glock gibt mir zu verstehen, dass er dem Deputy mein Anliegen vermittelt hat: Helfen Sie uns, aber versuchen Sie nicht, uns die Show zu stehlen.
Der Deputy mustert mich von oben bis unten, als hätte er eine unscheinbare Frau mit
Kapp
und bequemen Schnürschuhen erwartet. Als ich auf ihn zutrete, hält er mir die Hand hin. »Deputy Hicks«, stellt er sich vor.
Hicks ist ein gedrungener, vor Muskeln strotzender Mann mit einem Hals so dick wie ein Telefonmast. Irgendwo bin ich ihm schon mal begegnet, kann mich aber nicht mehr erinnern wann und wo. Ich schüttele seine Hand. Sie ist feucht und sein Händedruck ist zu fest. »Danke, dass Sie gekommen sind.«
»Ich soll Ihnen von Sheriff Detrick ausrichten, dass Sie auf unsere Unterstützung zählen können, falls Sie sie brauchen.«
»Danke für das Angebot.«
Er blickt Glock an, als wären sie schon gute Freunde. »Officer Rupert hat mich gerade über den Fall informiert. Ist ja ’ne üble Sache.«
Ich denke an Belinda Horner. »Besonders für die Familie.«
»Gibt’s schon einen Verdächtigen?«
»Wir überprüfen ein paar Leute und warten auf die Autopsie- und Laborergebnisse.«
»Glauben Sie, es ist derselbe wie damals?«
Da es hinter mir ganz still geworden ist, drehe ich mich um. Alle im Raum haben die Ohren gespitzt, in den Augen ein erwartungsvolles Glühen. Sie wollen Einzelheiten wissen, zur Anregung der dunklen Seiten ihrer Phantasie, aber auch Beruhigendes zur Besänftigung ihrer Ängste, damit sie sich keine Gedanken über einen Verrückten machen müssen, der in ihrer Stadt Amok läuft.
Ich schüttele den Kopf. »Wir haben nichts Konkretes, was die Annahme erhärtet.«
»Aber es sieht doch ganz danach aus, oder?« Er blickt mich neugierig an, ein Polizist, der einen rätselhaften Mord mit unerwarteter Wendung zu schätzen weiß. »Ich meine, die Wahrscheinlichkeit, dass in einer so kleinen Stadt zwei Mörder auf identische Weise töten, ist doch sehr gering.«
Ich antworte nicht. Stattdessen sehe ich ihn eindringlich an, wie einen Verdächtigen, der sich zu weit vorgewagt hat. Hicks versteht den Wink und fragt nicht weiter.
Da ich
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