Die Zahlen Der Toten
flüstert verschwörerisch: »Gut gemacht, Chief.«
»Wenn sie versucht, in mein Büro zu kommen, erschießen Sie sie.«
Ein Prusten unterdrückend, wendet sie sich wieder ihrem Gesprächspartner am Telefon zu.
»Chief Burkholder!«
Als ich mich umdrehe, kommt Steve Ressler auf mich zugeeilt. Er ist der Verleger des
Advocate,
ein hochgewachsener, drahtiger Mann mit gesunder Gesichtsfarbe und vollem, rotblondem Haar.
Ich bleibe stehen, weil er wahrscheinlich der einzige mir wohlgesinnte Journalist ist, mit dem ich in nächster Zeit zu tun haben werde. »Machen Sie es kurz, Steve.«
»Sie haben für heute Nachmittag eine Presseerklärung versprochen.«
»Die kriegen Sie auch noch.«
Er wirft einen Blick auf seine Armbanduhr. »Um fünf gehen wir in Druck.«
Normalerweise erscheint der
Advocate
nur freitags. Heute ist Montag, sie wollen also eine Extraausgabe drucken. »Geben Sie mir eine Stunde, okay?«
Er verzieht das Gesicht. Die Verzögerung gefällt ihm gar nicht, aber er ist klug genug, um zu wissen, dass ich nicht alles fallen lassen kann, um seinem Zeitplan zu genügen.
Steve mag zwar aussehen wie die ältere Version des gemütlichen Opi aus der
Andy Griffith Show,
doch er hat eine Typ-A-Persönlichkeit, wie sie im Buche steht.
Er blickt wieder auf die Uhr. »Können Sie sie faxen? Bis spätestens sechs?«
Um die Zeit ist es bereits dunkel. Ich ertappe mich dabei, die Dunkelheit zu fürchten. »Es gibt auch Sicherheitshinweise für die Bewohner, die ich abgedruckt haben möchte.«
»Das ist gut.« Ich sehe ihm an, dass er Fragen zu dem Mord stellen will, komme ihm aber zuvor und öffne die Tür zu meinem Büro.
Eine seltsame Erleichterung erfüllt mich beim Betreten des Raums. Ich knipse das Licht an und fühle mich getröstet angesichts meines kleinen, vollgestopften Refugiums. Den Mantel hänge ich an den Haken und schließe die Tür. Ich brauche ein bisschen Zeit, um mich zu sammeln. Schlagartig verlässt mich die Energie, die mich seit den frühen Morgenstunden angetrieben hat, und ich sinke auf den Stuhl, schließe die Augen und massiere sie mit den Handballen. Ich träume von einem Kaffee und was zu essen, brauche eine kurze Atempause, bevor ich mich mit den Fragen befasse, auf die ich keine Antworten habe. Dieser Fall ist ein Albtraum.
Doch vor meinen geschlossenen Augen sehe ich Amanda Horners geschundenen Körper, die tiefen Furchen an ihren Fußgelenken, das dunkle Blut im Schnee. Ich sehe die Qual in den Augen ihrer Eltern, die anders ist als die in meinem Herzen.
Während der Computer hochfährt, hole ich die »Schlächter«-Akte aus dem Hängeschrank und lege sie vor mich. Dann schreibe ich die Punkte auf meinen Notizblock, die ich mit meinen Mitarbeitern durchgehen will.
Aufgaben: T. J. – Kondome? Glock – Schuhabdrücke? Reifenprofilabdrücke? Mona – leerstehende Immobilien. Ich – ähnliche Verbrechen. Überprüfen – Connie Spencer, Donny Beck? Leute aus der Bar. Liste von Verdächtigen.
Ich stelle mir vor, was im Kopf des Mörders vorgeht, und notiere:
Motiv. Hilfsmittel. Gelegenheit. Warum tötet er? Sexuelle Befriedigung. Sexuell motivierter Sadismus? Wo tötet er? Ein Ort, an dem er sich sicher fühlt – entlegen, das heißt kein Knebel. Keine Angst vor Schreien des Opfers. Keller? Schalldichter Raum? Leerstehendes Haus?
Bei dem Punkt »Gelegenheit« frage ich mich, ob er berufstätig ist, und schreibe:
Arbeitet er?
Ein Klopfen unterbricht mich beim Denken. »Es ist offen.«
Die Tür geht ein Stück auf, und eine Hand mit einer Papiertüte von Ellis’s Burger Palace wird durchgeschoben.
»Ich komme mit Geschenken.«
»Wenn das so ist, treten Sie näher.«
T. J. kommt herein und stellt die Tüte auf den Schreibtisch. »Hamburger mit Gewürzgurke, keine Zwiebeln. Große Portion Pommes und eine Cola light.«
Der Duft entlockt meinem Magen ein Knurren. Lächelnd ergreife ich die Tüte. »Wenn Sie nicht schon vergeben wären, würde ich glatt um Ihre Hand anhalten.«
»Reiner Eigennutz, Chief. Damit Sie nicht umfallen.« Doch er wird ganz rot.
Hinter ihm erscheint Glock mit einem Papptablett, auf dem er vier große Pappbecher mit Kaffee balanciert. »Ich liefere das nötige Koffein.«
Als Skid schließlich mit einem Klappstuhl hereinkommt, packe ich gerade mein Mittagessen aus. Ich nehme ein paar Happen, während die Männer sich setzen. »Wir müssen den Kerl schnappen«, beginne ich.
Glock stellt seinen Kaffee auf die Schreibtischkante. »Ist es
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