Die Zarentochter
habe der Zarentochter geschadet! Und was dann geschähe, könne man sich ja ausmalen. Anna hatte sich aufs Flehen verlegt und der Frau geschworen, niemals ihren Namen gegenüber der Zarenfamilie zu erwähnen. Außer im Falle einer Heilung na türlich, denn dann wäre ihr die immerwährende Dankbarkeit des Vaters sicher.
»Wusste sie auch ein Mittel gegen den brennenden Schmerz in Adinis Brust?«, fragte Olly nun hoffnungsvoll, während sie darauf warteten, dass das Wasser zu kochen begann. Der Köchin hatten sie gesagt, es handle sich um Kamillentee, was diese mit einem skeptischen Blick quittierte.
Anna nickte. »Adini soll morgens auf nüchternen Magen und abends vor dem Schlafengehen je ein halbes Glas Öl, vermengt mit Honig und etwas geriebenem Meerrettich, trinken.«
Olly verzog das Gesicht. »Hoffentlich kann ich sie davon überzeugen. Aber wenn’s hilft …«
»Mach dir keine allzu großen Hoffnungen, die Kräuterfrau sagte, wer schon so lange hustet, sei dem Tod näher als dem Leben. Sie selbst habe noch niemanden eine solche Krankheit überstehen sehen.«
»Abwarten!Wir Romanows haben von jeher mehr Kampfgeist als andere Menschen«, sagte Olly mit mehr Überzeugung in der Stimme, als sie verspürte.
Adini war eine willige Kranke, die tat, wie ihr geheißen wurde. Also trank sie den bitteren Tee, würgte das Öl hinunter und ebenso den geriebenen Meerrettich.
Und tatsächlich hatte es nach ein paar Tagen den Anschein, als würden die neuen Heilmittel helfen. Der Tee reduzierte die nächt lichen Hustenanfälle auf die Hälfte, das Honigöl linderte Adinis Schmerzen. Ihr Appetit kam zurück, auch gelang es ihr, täglich für ein, zwei Stunden das Bett zu verlassen, um im Garten oder auf einer Chaiselongue im Salon zu verweilen.
Der Zar – informiert von der Köchin, die sogleich gewusst hatte, dass das Gebräu auf ihrem Herd kein gewöhnlicher Kamillentee war – lobte Olly für ihren Einfall mit der Kräuterfrau. Um Adini eine Freude zu machen, setzte er sich so oft es ging abends an ihr Bett und trank ebenfalls eine Tasse »russische Kraftbrühe«, wie er den Tee nannte.
Leise Zuversicht machte sich in der Familie breit, Adini selbst begann Reisepläne nach Kopenhagen zu schmieden. Ihr Kind, das sich immer deutlicher in ihrem Bauch bemerkbar machte, sollte in ihrer neuen Heimat Dänemark zur Welt kommen. Keiner glaubte an diese Möglichkeit, für eine solche Reise war die Kranke einfach zu schwach, aber niemand brachte es übers Herz, Adinis Träume zu zerstören.
Mitte Juli schlug das Wetter um. Die klaren, trockenen Frühsommertage wurden abgelöst von feuchter Schwüle. Die Sonnenblumen, die sich am Zaun des Landhauses entlangschlängelten und deren Knospen am Vortag noch fest verschlossen waren, öffneten sich und zeigten ihre ganze Pracht. In den nicht dunkel werdenden Nächten kühlte es nicht mehr ab, und die Menschen stöhnten, weil ihnen bei der kleinsten Bewegung der Schweiß ausbrach.
Für Adini war die Witterung umso schlimmer. Wie angestrengt sie nachLuft schnappte, wie schmerzerfüllt sie nach einer besonders schlimmen Attacke stöhnte, brach Olly und den anderen Haus bewohnern fast das Herz. Vor der Kranken selbst taten alle betont fröhlich, doch kaum hatten sie das Krankenzimmer verlassen, wurden sie von einem unsichtbaren Netz aus Angst und Trauer umhüllt, aus dem es kein Entrinnen gab.
Dann kam der Tag, an dem Adini zu schwach war, um ihr Bett zu verlassen. Damit sie nicht ganz vom häuslichen Leben abgeschnitten wurde, funktionierte man kurzerhand das Kabinett der Zarin in ein Krankenzimmer um. Der luftige Raum lag ebenerdig, hatte große Fenster mit einer schönen Sicht auf den Park. Jeder, der im Haus zu tun hatte, kam irgendwann hier vorbei, so dass es Adini an Besuchern nicht mangelte.
Doch die Besuche wurden ihr bald zu anstrengend, selbst ihren Mann schickte sie nach wenigen Minuten weg. Mit geschlossenen Augen, beide Hände auf den Bauch gelegt, siechte Adini dahin. Manchmal, wenn Olly unbemerkt ins Zimmer schaute, glaubte sie, eine aufgebahrte Tote zu sehen.
Die Hebamme flehte die Kranke an, wenigstens ein bisschen zu essen. Das Kind in ihrem Bauch brauche dringend Nahrung und sie, die Mutter, auch! Doch Adini verlor immer mehr Gewicht. Eines Tages rutschte ihr der Ehering vom Finger. Vor Erschöpfung konnte sie nicht einmal mehr weinen.
Olly bekam das Bild von Adinis knochigem Finger nicht mehr aus dem Kopf, das Klirren des Goldrings, der auf dem Boden
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