Die Zarentochter
versuchen, neuen Lebensmut zu finden.«
Verzweifelt schaute sie hinüber zu der Kutsche, mit der ihre Mutter, Anna und sie reisen sollten. Weitere Kutschen standen bereit, um die begleitenden Ärzte, Hofdamen und andere Mitglieder des Zarenhofs zu transportieren.
»Die Ärzte sind nun einmal der Ansicht, dass eine Überwinterung in einem warmen südlichen Klima für Mutter das Beste ist. Palermo wird euch gefallen, glaube mir. Es ist genau der richtige Ort, um neue Lebenskraft zu schöpfen«, sagte Sascha nicht zum ersten Mal. Er war derjenige gewesen, der diesen Ort vorgeschlagen hatte. Das Klima und die liebliche Landschaft würden Balsam für ihre Seelen sein, versprach er ihnen. Seit er Italien vor vielen Jahren auf seiner Brautschau kennengelernt hatte, hatte er es nie vergessen können.
Olly war skeptisch. Neun Monate fort von zu Hause, wie sollte sie das aushalten? Ihr graute vor dem Gedanken, für so lange die geliebte Heimat verlassen zu müssen. Wenn man sie schon auf eine Erholungskur schicken wollte, wäre Olly die Krim tausendmal lieber gewesen, aber dort grassierte anscheinend ein gefährliches Fieber. Und warm war es dort auch nicht.
»Ich habe Nachrichten aus Dagestan bekommen, auch ein Brief von Alexander ist dabei, ich soll dir Grüße von ihm ausrichten«, sagte Sascha so unvermittelt, dass Olly einen Moment glaubte, nicht richtig zu hören. Wie immer, wenn sein Name fiel, setzte ihr Herz für einen Schlag aus.
»Danke«, sagte sie knapp.
»Alexander schreibt, die Eroberung von Dargo sei nur ein Pyrrhussieg gewesen, der dort ansässige Tscherkessenführer habe sich vor Eintreffen unserer Truppen längst in Sicherheit gebracht. Aus einem Hinterhalt heraus wurden unsere Männer angegriffen, kaum dasssie sich aus der niedergebrannten Stadt zurückzogen. Es gab viele Tote, vor allem auf unserer Seite. Sein Brief klang sehr deprimiert.«
Olly schnaubte. »Soll ich etwa Mitleid haben?«, fragte sie und ärgerte sich gleichzeitig über das beunruhigte Rumoren in ihrem Bauch. Hoffentlich geschah Alexander nichts.
»Dass der Kaukasus ein gefährlicheres Pflaster ist als die Tanzsäle von St. Petersburg, hätte er sich denken können. Jetzt kann er zeigen, dass er nicht nur ein Frauenheld ist, sondern auch ein Soldat, der seine Orden verdient.« Erneut blieb sie stehen. »Warum musstest du überhaupt mit diesem Thema anfangen? Dieser Mann inter essiert mich nicht, das weißt du ganz genau.« Sie spürte, wie ein Nerv über ihrer rechten Augenbraue heftig zuckte, wie immer in letzter Zeit, wenn sie sich aufregte.
Beschwichtigend hob Sascha beide Hände. »Ich wollte dich nur ein bisschen ablenken. Dir das Reisefieber nehmen, sozusagen.«
»Wenn das so ist«, sagte Olly ironisch. »Ich kann es nun kaum mehr erwarten, von hier wegzukommen.«
»Außerdem ist Alexander immer noch Cerises Bruder. Er hat sich dir gegenüber zwar nicht sehr ehrenhaft benommen, trotzdem mag ich ihn.«
»Weiß er, dass ich nach Palermo reise?«, fragte sie leise.
Alexander … Sehnsucht streifte sie wie ein lauer Wind. In der Zeit nach Adinis Tod hatten sie sich auf mehreren Familientreffen gesehen und auch ein paar Worte gewechselt. Olly war es so vorgekommen, als habe er sie in ihrer Trauer besonders gut verstanden. Sie waren ein, zwei Mal zusammen spazieren gegangen, und zaghaft war die frühere Zuneigung in beiden wieder erwacht. Doch dann war Alexander zu mehreren Manövern aus der Stadt beordert worden. Ollys Hoffnung, ihn wiederzusehen, hatte sich im Frühjahr vollends zerschlagen, als seine Einheit als Verstärkung im Kampf gegen die aufsässigen Bergvölker in den Kaukasus zog.
Olly seufzte. Vielleicht war es am besten so, für weitere Dramen hatte sie keine Kraft.
Sascha schüttelte den Kopf. »Übrigens ist noch ein Brief ange kommen.Von Vater. Er rechnet damit, Anfang nächster Woche in Prag einzutreffen.«
Olly stöhnte auf. »Was habe ich ihn angefleht, die Sache endlich auf sich beruhen zu lassen. Aber nein, jetzt muss er als Zar Russlands höchstpersönlich nach Prag reisen, um seine Tochter erneut anzupreisen. Das ist alles so erniedrigend, ich könnte im Erdboden versinken, wenn ich nur daran denke. Wie stellt sich Vater das eigentlich vor? Dass sich Stephan urplötzlich über sämtliche politischen Intrigen hinwegsetzt und laut seine Liebe zu mir verkündet? Und selbst wenn er das täte – wie sollten wir uns nach all den Jahren begegnen? Ich will ihn nicht mehr, verstehst du?«
Sascha schüttelte
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