Die Zarentochter
bedeuten.
Adini führte die blasse Zarin zum Sofa, fächerte ihr ein wenig Luft zu.
»Eine Eildepesche aus Österreich.« Die Zarin schaute gequält von einer Tochter zur anderen. »Olly, ich weiß gar nicht, wie ich es dir schonend beibringen soll. Hier steht, dass Erzherzog Stephan nicht kommen kann, weil er derzeit an Schwindsucht leidet.«
»Was? Aber das gibt’s doch nicht«, sagte Olly fassungslos. »Seit wann leidet Stephan an Schwindsucht?« Ihre Nervenenden auf dem ganzen Kopf prickelten plötzlich so heftig, als hätte sie eine besonders straffe Hochsteckfrisur geöffnet. Schwindel erfasste sie, sie musste sich setzen. Nicht noch einmal. Nicht schon wieder.
»Stephan soll schon wieder krank sein? Ist das etwa eine weitere Gemeinheit, die sich Fürst Metternich ausgedacht hat?«, sagte Adini. »Was steht denn noch in diesem Schreiben?«
Die Zarin zuckte mit den Schultern. »Die Depesche ist äußerst knapp gehalten.«
Ratloses Schweigen setzte ein, während jede der Frauen ihren Gedanken nachhing.
Adini war die Erste, die ihre Sprache wiederfand. »Verehrte Maman, Sie halten noch ein zweites Schreiben in der Hand, beinhaltet das wenigstens gute Nachrichten?«
Die Zarin winkte ab, doch Adini hakte in ungewohnter Hartnäckigkeit nach, bis die Mutter ihr das Schreiben aushändigte.
»Eine Einladung zu einer Hochzeit. Erzherzog Albrecht freut sich, seineVermählung mit Hildegard von Bayern bekanntgeben zu können«, murmelte Adini, während sie die Zeilen überflog. »Albrecht war doch so vernarrt in dich! Hast du gewusst, dass er auch um Max’ Schwester wirbt?«
Olly schüttelte nur den Kopf. Noch jemand aus ihrem Kreis, der sein Glück gefunden hatte. Warum ging dies bei allen gut, nur nicht bei ihr? Was war nur mit ihr los?
Sie zwang sich zu einem künstlichen Lächeln. »Das ist doch wunderbar! Wenn Sie und Vater der Einladung folgen, richten Sie Albrecht unbedingt meine herzlichsten Glückwünsche aus.«
»Ach Olly«, seufzte die Zarin.
»Allmählich glaube ich wirklich, dass du fürs Kloster bestimmt bist«, sagte Adini trocken.
Olly wollte schon zu einer barschen Antwort anheben, doch dann besann sie sich anders. Lachen, um nicht weinen zu müssen, lautete nicht so ihre Devise?
Ihre Mundwinkel hoben sich unmerklich. »Wenn das so ist, kann ich mein Ballkleid für den morgigen Tag verschenken und besser schon heute damit anfangen, eine Kutte zu tragen.« Noch während sie sprach, zerrte sie die Wolldecke vom Sessel und drapierte sie über ihren Kopf, so dass nur noch das runde Oval ihres Gesichts zu sehen war. »Was sagt ihr, steht mir das? Wäre ich wenigstens eine hübsche Nonne?«
Unter den entgeisterten Blicken ihrer Mutter fingen die Schwestern hysterisch an zu lachen.
23. KAPITEL
Zarskoje Selo, im Sommer 1844
A ls Olly von der Terrasse aus Friedrich auf das Familienlandhaus zukommen sah, durchfuhr sie ein beklemmendes Déjà-vu. Fast auf den Tag genau vor einem Jahr waren Friedrich von Hessen und ihr Cousin Franz in Russland angekommen. Es war wie heute ein sonniger Tag gewesen. Die Baumkronen waren voller Vogelgezwitscher, der Himmel glänzte wie mattes Silber, Rosenduft erfüllte die Luft. Die Gäste hatten sich gewundert – ein solches Wetter hätten sie eher in südlicheren Gefilden vermutet, nicht aber in Russland, hatte Friedrich bemerkt.
Die Zeit der Weißen Nächte sei berühmt für ihr schönes Wetter, hatte Olly strahlend erwidert.
Nun wanderte ihr Blick fast flehentlich gen Himmel. Liebend gern hätte sie jeden Sonnenstrahl eingetauscht gegen die unbeschwerte Stimmung des vergangenen Sommers.
Adini, die in dicke Decken verpackt in einem Korbsessel saß, lächelte. »Schau, da kommt mein lieber Gatte.« Im nächsten Moment schwand ihr Lächeln, fahrig griff sie nach Ollys Hand. »Falls er wieder auf die Idee kommt, mir den ganzen Nachmittag Gesellschaft leisten zu wollen, musst du ihm das ausreden, ja?«
»Aber warum denn? Es ist doch natürlich, dass ein Mann Zeit mit seiner schwangeren Frau verbringen möchte«, erwiderte Olly. Adinis Hand war kalt wie Eis.
»Du weißt doch, wie schnell sich Friedrich langweilt, wenn er längere Zeitstillsitzen muss. – Friedrich, Liebster, stell dir vor, mir geht es heute schon viel besser. Ich habe gerade zu Olly gesagt, dass ihr euch alle unnötig viele Sorgen macht.«
Friedrich küsste Adinis Stirn. Über ihren Kopf hinweg traf sein Blick den von Olly. Jeder konnte in den Augen des anderen die Besorgnis
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