Die Zarentochter
aufschlug, nicht mehr aus den Ohren.
Höchstpersönlich suchte sie die Kräuterfrau auf, flehte sie um neue, stärkere Kräuter an. Der Reichtum der russischen Natur war doch unerschöpflich, es musste etwas geben! Die alte Frau schüttelte nur den Kopf und bekreuzigte sich.
Olly packte Kosty am Handgelenk. »Wenn ihr zu Adini ins Zimmer geht, schaut bitte recht fröhlich drein. Seid nicht zu laut und stellt keine dummen Fragen. Und wehe, ihr streitet euch da drinnen«, fügte sie mit Blick auf ihre beiden jüngsten Brüder Nisi und Mischa hinzu.
Zusammenstanden sie vor dem Kabinett ihrer Mutter. Der zwölfjährige Mischa zog mit seiner Schuhspitze ein unsichtbares Muster auf dem Boden nach. »Weißt du, was sie von uns will?« Der angstvolle Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören.
Olly schüttelte den Kopf, dann straffte sie sich. »Lasst uns reingehen.«
»Adini, Liebes, schau, ich habe dir Blumen gepflückt«, sagte sie betont fröhlich. Dann warf sie den Brüdern, die sich Stühle neben das Bett der Schwester gezogen hatten, einen strafenden Blick zu. Mussten sie solche Grabesmienen aufsetzen?
Eine Träne tropfte auf Adinis Bettdecke. »Ich weiß, du meinst es gut, aber bitte bring mir keine Blumen mehr«, wisperte sie. »Sie erinnern mich nur daran, dass ich selbst nie wieder über eine Blumen-wiese streifen werde.«
»Was redest du für einen Unsinn! Dass du dich bei diesem schwülen Wetter elend fühlst, ist kein Wunder. Aber heute Abend soll es gewittern, und morgen ist die Luft bestimmt wie reingewaschen. Dann kannst du wieder durchatmen.« Noch während sie sprach, begann Olly Adinis Kissen aufzuschütteln. Es war nassgeschwitzt und roch nach Kampfer. Sollte sie ein wenig das Fenster öffnen?, fragte sich Olly und entschied sich dagegen.
Adini winkte ihre Brüder zu sich, übergab ihnen kleine in Seidenpapier gewickelte Päckchen, die auf einem Tisch rechts neben ihrem Bett deponiert gewesen waren.
»Geschenke? Am 28 . Juli? Wir haben doch erst im Herbst Geburtstag«, sagte Kosty stellvertretend für alle drei.
»Ich weiß. Und bis Weihnachten ist es auch noch lange hin. Trotzdem möchte ich –« Schon wurde Adini von einem neuerlichen Hustenanfall geschüttelt.
Während Olly ihr mit einem feuchten Tuch das Gesicht abtupfte, hätte sie vor Wut, Angst und Verzweiflung am liebsten losgeheult. Warum ausgerechnet sie?
Beklommen schauten die Jungen ihre Geschenke an – silberne Taschenuhren aus Tula.
»Friedrich hat sie ausgesucht, sie sollen euch immer an eure ältere Schwestererinnern, der so früh die Stunde geschlagen hat«, sagte Adini mit einem seltsamen Lächeln. Ihr Blick ruhte eindringlich auf jedem der drei Jungen, dann erlaubte sie ihnen, das Zimmer zu verlassen.
»Du hast ihnen Angst gemacht. Warum redest du vom Tod? Dar an darfst du nicht einmal denken«, sagte Olly gequält. »Vielmehr musst du ans Leben denken. An das Kind, das in deinem Bauch wächst. An deinen Ehemann, euer Zuhause in Kopenhagen –« Olly brach ab, als Adini ihr eine lederne Schmuckschatulle in die Hand drückte.
»Ach Adini …« Ich will kein Geschenk, ich will, dass du wieder gesund wirst! , hätte sie am liebsten geschrien. Ihre Hände zitterten so, dass es eine halbe Ewigkeit dauerte, bis sie den Verschluss aufbekam. Auf silbergrauer Seide lag ein Armband mit blauen Steinen, die Olly sofort als Saphire erkannte.
»Es ist wunderschön«, hauchte Olly.
»Vater sagt, der Saphir sei ein Stück vom Himmel. Wenn du das Armband trägst, soll es dich daran erinnern, dass ich nur voran gegangen bin. Im Geiste werde ich immer bei euch sein.« Sie ergriff Ollys rechte Hand mit ihrer eiskalten linken. »Jetzt komme ich doch nicht mehr nach Kopenhagen. Dabei hätte ich so gern den Palast gesehen, den sie für uns vorbereitet haben …«
Tausendmal hatte sich Olly vorgenommen, nie vor Adini die Fassung zu verlieren. Weinen und beten konnte sie nachts. Doch ihr innerer Damm war im Laufe des Sommers brüchig geworden, Adinis Bemerkung über Kopenhagen spülte den letzten Rückhalt weg, die mühsam zurückgehaltenen Tränen schossen hervor. Adinis blasses Antlitz verschwamm vor Ollys Augen wie Tinte auf einem nassen Blatt.
»Nicht weinen. Sonst fange ich auch noch an.«
Mit bebenden Schultern beugte sich Olly nach vorn, nahm ihre Schwester voll unendlicher Zärtlichkeit in den Arm, um Abschied zu nehmen.
Inder Nacht bekam Adini heftige Bauchschmerzen. Olly, die auf einem Stuhl neben Adinis Bett wachte,
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