Die Zarentochter
alten Kasten hasse!«
Olly griff nach ihrem Glas. Der Orangensaft war warm geworden und schmeckte klebrig.
»AberVater hat Ihnen auf der Krim doch einst einen ganzen Ort geschenkt. Wie hieß er noch? Wurde dort nicht eine riesengroße Sommerresidenz eigens nach Ihren Wünschen und Ideen erbaut? Ländlicher geht es doch nicht.« Wie konnte sich die Mutter über zu wenig Freiraum beschweren? Vater legte ihr doch die Welt zu Füßen! Olly fand ihre Mutter ziemlich undankbar.
Alexandra lächelte dünn. »Dir fällt nicht einmal der Name des Ortes ein. Livadia heißt er. Kannst du dich erinnern, wie oft wir bisher den Sommer dort verbrachten?«
Olly schwieg.
»Kein einziges Mal«, fuhr die Zarin sogleich fort. »Weil dein Vater lieber ins Landhaus nach Peterhof fährt. Dass ich allein nach Livadia reise, erlaubt er nicht. Ständig will er mich um sich haben.« Ein Hauch Müdigkeit zog in Alexandras Miene. »Bitte verstehe mich nicht falsch. Ich liebe Nikolaus, würde alles für ihn tun. Es ist nur … Mein Leben lang habe ich mich nach einem Ort gesehnt, wo ich auch einmal allein sein kann. Wo ich tun und lassen kann, was ich will. Ohne Rücksicht nehmen zu müssen auf die Etikette oder sonst etwas.« Sie lachte auf. »Wahrscheinlich wäre mir in kürzester Zeit langweilig! Am besten vergisst du, welchen Blödsinn ich geredet habe.«
Olly schwieg. Irgendwie kam ihr die Mutter seltsam vor.
Als sie Anna zusammen mit Grand Folie auf den Pavillon zukommen sah, war sie fast ein wenig erleichtert.
»Es ist Post angekommen. Für Großfürstin Olga«, sagte Anna und reichte Olly zwei Briefe.
»Das ist doch das Siegel des württembergischen Königs, oder?« Fragend schaute sie ihre Mutter an. Als diese nichts antwortete, brach Olly das Siegel auf. Ein einzelner Bogen kam zum Vorschein, den Olly hastig überflog.
»Tatsächlich, der Brief kommt aus Stuttgart. Der württembergische König fragt an, ob sein Sohn Karl mich besuchen dürfe. Mich kennenzulernen wäre der sehnlichste Wunsch des Prinzen.« Olly ließ den Brief sinken. »Der Prinz von Württemberg, was will ausgerechnet der von mir? Ist er nicht als Gemahl für Cousine Luise vorgese hen?Deshalb war er im Frühjahr doch in Berlin, oder täusche ich mich?« Krampfhaft versuchte sie sich daran zu erinnern, was ihre Cousine darüber geschrieben hatte. Aber wie so vieles war auch Luises Brief an ihr vorübergegangen.
Sie schaute von Anna zu ihrer Mutter. Kam es ihr nur so vor, oder hatten die beiden gerade einen seltsamen Blick getauscht?
»Was meinen Sie, liebe Maman?«
»Karl von Württemberg ist ein reizender junger Mann.« Alexandra klatschte in die Hände. »Alle aus meiner Familie mögen ihn, er ist in Berlin immer willkommen. Dass aus Luise und Karl nichts wurde – nun, es gehören immer zwei dazu. Vielleicht war er meinem Bruder ein wenig zu leger. Zu unpreußisch!« Ein irritierter Zug, den Olly nicht deuten konnte, umspielte Alexandras Mund. »Fürst Gortschakoff berichtet ebenfalls nur Gutes über den jungen Mann. Keine Sorge, ich will dir nichts einreden«, sagte sie, als sie Ollys Blick sah. »Aber gegen ein harmloses Treffen ist nun wirklich nichts einzuwenden. Schreibt Wilhelm auch, wo sein Sohn dich kennenlernen möchte?«
Olly zuckte mit den Schultern. »Das ist ihm anscheinend gleichgültig. St. Petersburg, Wien, Palermo – woher weiß er eigentlich, dass wir hier sind?« Wieder kam es ihr so vor, als wechselten ihre Mutter und Anna verstohlen einen Blick. Sie beschloss, abends Anna danach zu fragen. War etwa Fürst Gortschakoff, ihr Gesandter in Stuttgart, der Ansicht, nun ebenfalls ein bisschen am unseligen Heiratskarussell drehen zu müssen? Oder wollte dieser Prinz Karl sie wirklich aus freiem Willen kennenlernen?
Ein freier Wille! Sie lachte leise auf.
»Warum lädst du ihn nicht einfach hierher ein?«, fragte Anna. »Dieser Prinzenbesuch wäre eine nette Abwechslung.«
»Der Württemberger soll übrigens sehr attraktiv sein«, fügte Alex andra schmunzelnd an. »Jetzt schau nicht so kritisch! Lass es dir in aller Ruhe durch den Kopf gehen. Und sag endlich, was in dem zweiten Schreiben steht.«
Erst da bemerkte Olly, dass dieser Brief das Wappen mit dem russischen Doppeladler trug. »Er ist von Vater!« Mit dem Zeigefinger ihrerrechten Hand riss sie den Umschlag so hastig auf, dass sie einen der innen liegenden Papierbögen verletzte. Ihre Augen flogen über die engbeschriebenen Seiten.
»So kann ich heute berichten, dass mein Besuch
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