Die Zarentochter
noch Karls Sekretär Hackländer zu sehen.
Ehrfürchtig breitete der Architekt seine Bauzeichnungen für die Stuttgarter Villa vor der Zarin aus. Alexandra, die schon mehr als ein Haus mitgestaltet hatte, machte die eine oder andere kluge Anmerkung. Als Olly, Karl und der Architekt zu ihrer Besichtigungstour aufbrachen, blieb sie jedoch lieber in der Villa zurück. Die Abreise ihres Gatten hatte sie sehr betrübt, nach einem Ausflug war ihr nicht zumute.
In den Nachbarvillen wurde das Trio bereits freudig erwartet, voller Stolz zeigten die Bewohner jeden Winkel ihrer prunkvollen Häuser. Friedrich Leins’ Zeichenblock füllte sich immer mehr. Hier war es ein aufwendiges Portal, das Karl gezeichnet haben wollte, da eine Fenstereinfassung, die ihn begeisterte, ein Zimmer weiter das ungewöhnliche Muster eines Mosaikbodens.
Als Olly Friedrich Leins’ Hand über den Zeichenblock huschen sah, packte auch sie die Lust. Sie bat um einen Zeichenblock und skizzierte gekonnt vielflammige Leuchter, marmorne Sockel samt Büsten und andere Details.
Karl war fasziniert von Ollys Zeichenkünsten. Er selbst sei zeichnerisch völlig unbegabt, gestand er. Dafür habe er jedoch schon recht genaue Visionen von seiner Villa auf dem Berg.
DassKarl so viel Liebe zum Detail zeigte, begeisterte wiederum Olly. Die meisten Menschen sähen nur das große Ganze, für die kleinen Dinge nebenbei hätten nur die wenigsten einen Blick, merkte sie an, und er nickte dazu.
Am frühen Nachmittag hatten sie sich drei Häuser samt deren weitläufigen Gärten angeschaut. Als Karl vorschlug, sich auch noch Villa Nummer vier vorzunehmen, winkte Olly ab. »Tut mir leid, aber mir schwirrt schon der Kopf von den vielen Eindrücken. Wenn ich noch einen einzigen Kronleuchter zu Gesicht bekomme, wird mir schwindlig«, sagte sie lachend.
Karl schickte daraufhin seinen Architekten zurück in ihr Quartier, den Palast der Marchesa Sessa, wo er die Skizzen in aller Ruhe sortieren konnte. Schüchtern fragte er Olly anschließend, ob sie Lust auf einen Spaziergang hatte.
»Solange ich dabei den Himmel sehe und nicht irgendeine Deckenbemalung, gern«, sagte Olly und schlug einen Weg entlang der Steilküste vor, von wo aus sie das lapislazuliblaue Meer immer im Blick hatten.
Eine Zeitlang erfüllten die vielen architektonischen Eindrücke ihr Gespräch, doch irgendwann erschöpfte sich dieses Thema und sie spazierten schweigend weiter.
Mehr als einmal schaute Olly zu Karl hinüber. Manchmal traf ihr Blick dabei auf seinen, woraufhin beide hastig wegschauten, nicht ohne sich zuvor ein schüchternes Lächeln zuzuwerfen. Er war wirklich nett, befand sie. Weder aufdringlich noch anstrengend. Nicht affektiert oder künstlich bemüht. Sondern nur ein ganz natürlicher, normaler Mann.
Sie setzten sich auf eine kleine schmiedeeiserne Bank, die links und rechts von zwei Lorbeerbüschen gesäumt wurde. Olly schloss die Augen und genoss den würzigen Geruch der Büsche und die nachmittägliche Stille, die nur vom Gesang einiger Vögel durchbrochen wurde. Dass sie sich nicht ständig unterhielten, machte ihr nichts aus, im Gegenteil. Die Stille hatte etwas Wärmendes wie die Sonne, dieheute wieder von einem wolkenlosen Himmel schien. Es war angenehm, mit Karl einfach nur ruhig dazusitzen.
»Die Harmonie von Himmel, Meer und Erde … Die Luft duftet süß, der Wind weht lau … Wer es gesehen hat, der hat es auf sein Leben.«
Fast ein wenig enttäuscht darüber, dass er ihr einträchtiges Schweigen gebrochen hatte, schlug Olly die Augen auf. »Diese Zeilen stammen von Goethe, nicht wahr?«
Karl nickte erstaunt. »Woher wissen Sie das? Ja, es sind Goethes Worte, er ist wohl auch auf einer Italienreise zu dieser Dichtung inspiriert worden.«
Olly schmunzelte. »Wir Russen lieben zwar unseren Puschkin über alles, dennoch sind uns ausländische Schriftsteller nicht ganz un bekannt. Unser lieber Lehrer und Dichterfreund Wassili Shukowski hat etliche von Goethes Werken ins Russische übersetzt, daher kenne ich Ihren großen deutschen Dichter recht gut. Ludwig Uhland, Hauff, Gustav Schwab – auch diese Namen sind mir ein Begriff.«
»Sie erstaunen mich immer wieder«, sagte Karl kopfschüttelnd. »Ich könnte stets ins Schwärmen geraten, wenn ich an die deutsche Literatur denke«, fuhr er fort. »Aber ich will Sie nicht damit langweilen, indem ich deutsche Epen rezitiere.«
Olly lächelte traurig. Auch andere Männer hatten ihr schon Gedichte vorgetragen. Worte wie
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