Die Zarentochter
Sie denken nun, ich könnte in die Fußstapfen einer so großen Frau wie Katharina treten, indem ich Karl heirate? Vater, merken Sie nicht, dass Sie mir damit Angst einjagen?«, sagte Olly atemlos. War das seine Art, sie überreden zu wollen?
»Wir werden dir, was Karl angeht, keine Vorschriften machen«, sagte ihr Vater. »Ich wollte dir nur erzählen, dass schon einmal eine Romanow nach Stuttgart gegangen ist, mit frohem Herzen. Ach Olly,mir bricht es das Herz, dich so verzagt zu sehen. Ich will dich endlich wieder glücklich und lachend erleben. Der Prinz würde dich bestimmt auf Händen tragen.« Er streichelte ihre Wange, und Olly entspannte sich ein wenig.
»Aber Karl hat so gar keine soldatische Haltung«, sagte sie in der Hoffnung, das Thema damit zu beenden.
Nikolaus verzog das Gesicht. »Ein Wermutstropfen, zugegeben. Doch er kann nichts für die Versäumnisse seines Vaters. Ich habe läuten hören, dass sich Wilhelm von seiner Frau allzu sehr in die Erziehung des Sohnes hat reinreden lassen. Die Königin hat Karl vielleicht ein wenig verzärtelt. Aber das ist nichts, was sich im Mannesalter nicht noch ändern ließe. Wenn Karl erst einmal mit eigenen Augen sieht, wie fabelhaft unsere russischen Truppen ausgebildet sind …«
Vor Ollys innerem Auge erschien Alexander in seiner schneidigen Uniform. Sein Regiment hatte er bestens im Griff, sich und seine Leidenschaften dafür umso weniger. Was nutzte eine edle Uniform, wenn der Mann darin nicht gar so edel war?
»Ich persönlich finde es nicht schlimm, wenn ein Mann lieber Theater spielt, als an Militärparaden teilzunehmen«, sagte sie spröde. »Und es ist auch nicht so, als ob Karl mir unsympathisch wäre. Aber das alles kommt so plötzlich! Außerdem, woher wollen Sie wissen, ob Karl mich überhaupt zur Frau nehmen würde? Der Prinz ist mir gegenüber höflich und zuvorkommend, aber ob er mehr empfindet?« Sie zuckte ratlos mit den Schultern. Alles war so schrecklich kompliziert! Und je mehr sie über alles nachdachte, desto verwirrter wurde sie.
Ihr Vater lachte. »Hast du Karls verliebte Blicke etwa nicht bemerkt? Als wir uns vorhin mit unseren Zigarren zurückgezogen hatten, sagte er mir gegenüber, dass sämtliche Berichte über deine Schönheit gelogen wären, weil du in Wahrheit noch tausendmal schöner seiest.«
»Das hat Karl gesagt?« Olly war fassungslos. Ein so attraktiver Mann wie Karl machte ihr solche Komplimente? Früher hätte sie diese Nachricht beiläufig zur Kenntnis genommen. Doch inzwischen war ihr Selbstbewusstsein so brüchig geworden, dass sie Mühe hatte, ihremVater zu glauben. Andererseits wusste sie, dass der Zar sie nicht anlog. Vielleicht sagte er ihr nicht immer alles, aber angelogen hatte er sie noch nie.
Der Zar nahm Ollys Hand, drückte sie sanft. »Wie oft habe ich in den letzten Jahren davon geträumt, dich mit einer Königskrone auf dem Haupt zu sehen. Ich trage das Bild wie eine detailreich gemalte Miniatur in mir: du an der Seite eines Herrschers, ihr zwei auf dem Balkon eines prächtigen Palastes, wie ihr die Huldigung eures Volkes entgegennehmt …« Er lachte verlegen auf. »Verzeih deinem Vater seine Sentimentalitäten. Vielleicht ist es die bevorstehende Trennung, die mich so reden lässt. Der Gedanke, deine Mutter und dich hier zurücklassen zu müssen, gefällt mir nicht. Andererseits ist Alex andra noch nicht kräftig genug für die lange Heimreise. Ich bin dir wirklich sehr dankbar, dass du ihr weiterhin Gesellschaft leisten wirst.«
»Das tue ich doch gern«, murmelte Olly. In ihren Augen war ihre Mutter so gesund und erholt wie schon lange nicht mehr, die Reise hätte ihr gewiss nichts ausgemacht. Bestimmt will Vater, dass ich wegen Karl noch hierbleibe, dachte sie. Nicht, dass sie viel dagegen einzuwenden hätte, stellte sie erstaunt fest. Doch gleich darauf schoss ihr ein weiterer, weniger erfreulicher Gedanke durch den Kopf.
»Wenn ich Karl wirklich heirate, würde ich Tausende von Kilometern von euch entfernt leben. Das Herz würde mir vor lauter Heimweh brechen!«
Der Zar gab ihr einen kleinen Nasenstüber. »Als ob ich das zulassen würde. Natürlich würden wir dich in Stuttgart besuchen, so oft es geht. Und andererseits bist du bei uns auch jederzeit willkommen. St. Petersburg wird immer dein Zuhause bleiben, ganz gleich, welche Königskrone du trägst.«
27. KAPITEL
A m Tag darauf erschien Karl in Begleitung seines Architekten Friedrich Leins. Olly war froh, weder General Spitzemberg
Weitere Kostenlose Bücher