Die Zarentochter
Venedig stammt. Vielleicht sieht sie in diesem kleinen Puppentheater einen Ersatz für den venezianischen Karneval, der in früheren Zeiten groß gefeiert wurde. Wie gern hätte ich dieses Spektakel einmal in natura erlebt!« Während sie das Theater verließen, beschrieb Karl ihr das bunte Karnevalstreiben, das ein Ende gefunden hatte, als Venedig durch Napoleon seine Selbständigkeit verlor. Enthusiastisch schilderte er ihr die unterschiedlichen Masken, hinter denen die Feiernden ihre Identität verbargen. Und er erzählte von den Maskenmachern selbst, deren Handwerk so gut wie ausgestorben war.
Olly sagte an den richtigen Stellen erstaunt »Oh!« und interessiert »Achja?«. Es war nicht so, dass ihr der venezianische Karneval sehr am Herzen gelegen hätte, aber sie war froh, dass Karl überhaupt wieder mit ihr sprach. Sie wollte schon innerlich aufatmen, als sein Redefluss urplötzlich abbrach. Seine gerade noch offene Miene verschloss sich, mit stur geradeaus gerichtetem Blick lief er durch die Straßen der Stadt.
Olly blieb nichts übrig, als ihm zu folgen. Was war nun schon wieder los? Hatte sie etwas Falsches gesagt? Warum hatte sich seine Zuneigung ihr gegenüber so abgekühlt? Hatte jemand schlecht über sie geredet?
Es war ein herrlicher Tag voller Sonnenschein. Der Himmel über Palermo war so strahlend blau wie eh und je. Der Winterjasmin, der sich an Häusermauern und an Zäunen entlang in die Höhe rankte, duftete betörend. Doch angesichts Karls Schweigsamkeit wollte Olly nicht einmal eine belanglose Bemerkung bezüglich des Wetters einfallen. Wann und wo trafen sie eigentlich Anna und Hackländer wieder?, fragte sie sich und hielt krampfhaft nach den beiden Ausschau.
Nachdem sie einen Park durchquert hatten, zeigte Karl auf ein großes weißgekalktes Eckhaus, vor dem unter einer mit Wein bewachsenen Laube ein paar Tische und Stühle standen. »Darf ich Sie zu einem Glas Wein einladen, bis unsere Begleiter wieder zu uns stoßen?«, sagte er in fast mürrischem Ton.
Die Stühle waren hart und wackelten. Der Wein schmeckte sauer. Außerdem brannte die Sonne unangenehm durch das spärliche Blätterdach der Weinlaube. »Was für eine pittoreske Umgebung«, sagte Olly, dann schwiegen sie wieder.
Nach kurzer Zeit schob Karl abrupt sein Glas von sich. »Das hat doch alles keinen Sinn – was fällt mir nur ein, Sie in diese schreck liche Spelunke zu schleppen! Und davor dieser kindische Theater-besuch … Bestimmt halten Sie mich für einen großen Dummkopf. Hackländer hatte schon recht, als er gestern Abend sagte, dass es mir, was die Damenwelt angeht, an Erfahrung und Feingefühl fehlt. Bitte verzeihen Sie meine lächerlichen Avancen. Wenn Sie mögen, besorge ich auf der Stelle einen Wagen und bringe Sie nach Hause, bevorSie noch mehr von Ihrer kostbaren Zeit für einen Tölpel wie mich vergeuden und –«
»Karl, um Himmels willen, was reden Sie da?« Fassungslos schaute Olly auf das Häufchen Elend, das ihr gegenübersaß. »Ich bin doch gern mit Ihnen zusammen«, sagte sie. Es hätte nicht viel gefehlt und sie wäre aufgesprungen, um den verzweifelten Mann in den Arm zu nehmen. Aber es war schon gewagt genug, sich allein mit ihm in der Öffentlichkeit zu zeigen. Wehe, jemand aus ihren Kreisen sah sie hier bei einem Glas Wein zusammensitzen – der Klatsch würde kein Ende nehmen. Und wenn schon, dachte Olly trotzig bei sich, es wäre nicht das erste Mal, dass die Leute über sie redeten!
»Sie sind so liebenswert«, sagte Karl leise. »Aber für mich müssen Sie nicht lügen. Sie und ich … Das war ein Traum, wie ich ihn mir nicht herrlicher hätte vorstellen können. Und als Sie dann gestern so freundlich zu mir waren, schöpfte ich in der Tat Hoffnung, dass dieser Traum eines Tages Wirklichkeit werden könnte. Aber gestern Abend, als Hackländer und ich beieinandersaßen, wurde mir schmerzlich bewusst, wie dürftig ich bin. Wie langweilig und alltäglich. Wie dumm und ungeschickt. Ein Tölpel aus dem armen, biederen Württemberg. Und daneben Sie, die wunderschöne, russische Großfürstin. Ich kann froh sein, dass mein Sekretär mir noch rechtzeitig die Augen geöffnet hat, bevor ich mich endgültig lächerlich machte. Ich war so dumm. Verzeihen Sie mir.« In einer tragisch anmutenden Geste hob er sein Weinglas, als habe er gerade einen besonders klugen Trinkspruch zum Besten gegeben. Er trank sein Glas in einem Zug aus, dann atmete er tief durch. »Jetzt wissen Sie Bescheid über
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