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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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eine Deutung von Marys Brief einzulassen, zog Anna ein Ablenkungsmanöver vor. »Ich sehe, Großfürstin Helene hat ebenfalls geschrieben?«
    Olly rümpfte die Nase. »Meine Tante, ja. Sie scheint als Einzige mit meiner Wahl nicht einverstanden zu sein. Kein Wunder«, fügte sie angesichts des fragendem Blicks von Anna hinzu. »Ich habe von einer russischen Bekannten hier in Palermo gehört, dass Helene Karl im Stillen für eine ihrer Töchter vorgesehen hatte. Tja, da müssen sich meine Cousinen wohl nach einem anderen Freier umsehen. Ausnahmsweise hat einmal die alte Jungfer Olly die Nase vorn.« Auf ihrem Gesicht erschien ein Hauch der alten Bitterkeit.
    Anna verstand ihren Zögling nur zu gut. Dennoch sagte sie: »Sei nicht so hochnäsig! Erzähle mir lieber, was der Zarewitsch schreibt.«
    »Sascha? Er und Cerise freuen sich wahrhaftig für mich.« Ollys Miene wurde wieder weicher. »Ich kann es kaum erwarten, sie wiederzusehen.«
    »Bald ist es ja so weit«, sagte Anna tröstend. Sie tippte auf einen Brief, der ungeöffnet abseits der anderen lag. »Ist der hier etwa von –«
    »Von Alexander, ja«, unterbrach Olly sie. »Es hätte mich gewundert, wenn er sich nicht zu Wort gemeldet hätte. Scheinbar glaubt er immer noch, mir etwas mitteilen zu müssen.« Noch während sie sprach, leerte Olly die Obstschale aus. Äpfel, Orangen und kleine Birnen kullerten über die auf Hochglanz polierte Nussbaumplatte des Salontisches. Mit spitzen Fingern nahm Olly den Brief und legte ihn in die Schale. Sie entzündete ein Streichholz und hielt es an eine Ecke des Umschlags. Schwarze Rauchschwaden züngelten aus der Schale empor, der Brief löste sich in Asche auf.
    Schweigend schaute Anna Olly bei ihrem Werk zu. Wie kompromisslos sie noch immer war, wenn es um Alexander ging. Oder traute sie sich selbst nicht?
    Kaumwar Anna gegangen, betrachtete Olly die Schale mit den weißen Ascheflocken. Ein Gefühl von Erleichterung und Zufriedenheit erfüllte sie. Ihr kam es so vor, als wären mit der Asche auch ihre letzten Zweifel verflogen. Alexander war eine schöne Illusion gewesen. Eine heißblütige Liebschaft, die sie im Rückblick ihrer Jugend und Unerfahrenheit zuschrieb. Ein Mann fürs Leben war er jedoch nicht. Olly schürzte die Lippen und blies die Asche über den Tisch. Nichts als Schall und Rauch … Leichten Herzens wandte sie ihren Blick ab.
    So viele Briefe. Manche Zeilen waren ihr seltsam fremd vorgekommen, dabei standen die Schreiber ihr eigentlich nahe. Wie viel anders erging es ihr dagegen mit Karls Briefen! Obwohl sein Schreibstil etwas steif und förmlich ausfiel, spürte Olly seine Liebe in jedem seiner Worte. Sie konnte es nicht erwarten, ihn endlich wiederzusehen.
    Nach gerade einmal zehn Tagen hatte eine Eildepesche aus Stuttgart ihr junges Glück zunichtegemacht. Karls Vater sei sehr krank, und da der König schon vierundsechzig Jahre zählte und man mit allem rechnen müsse, sei Karls Anwesenheit in Stuttgart dringend erfor derlich, so hatte die knappe Nachricht gelautet. Schweren Herzens war Karl nach Württemberg aufgebrochen. Seitdem war fast täglich eine Nachricht von ihm eingetroffen. Und dennoch … Er fehlte ihr.
    Olly ging zu dem kleinen Sekretär, der in einer Ecke des Salons stand, und kramte Papier und Feder hervor.
    Liebster Karl,
    wie freue ich mich zu hören, dass Deine Baupläne für unsere italienische Villa Fortschritte machen! Wenn wir uns in Florenz treffen, musst Du mir unbedingt mehr davon erzählen.
    Wie schön, dass es Deinem Vater wieder bessergeht. Es ist eine große Ehre für mich, dass er den weiten Weg bis nach Salzburg auf sich nimmt, um mich baldmöglichst kennenzulernen. Ich bin schrecklich aufgeregt, wenn ich daran nur denke. Aber gemeinsam werden wir jede Hürde meistern. Jetzt und in aller Ewigkeit.
    Deine Dich liebende Olly
    Ollydrückte dem Briefbogen einen Kuss auf, bevor sie ihn mit rotem Siegelwachs und ihrem Siegel verschloss.
    Sie hatte schon einen guten Teil ihrer Korrespondenz beantwortet, als sie ihre Feder sinken ließ. Nachdenklich betrachtete sie ihr Werk: Gortschakoff in Stuttgart, Sascha und ihr Vater in St. Peters burg, Mary und Cerise auch in ihren Stadtpalästen – allen hatte sie geschrieben und sich für die Glückwünsche bedankt. Sie war auf Vorschläge eingegangen, hatte Fragen beantwortet und hier und da auch einen Wunsch geäußert.
    Den Brief, der ihr jedoch am meisten am Herzen lag, hatte sie bisher nicht geschrieben. Sollte sie es überhaupt

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