Die Zarentochter
Hackländer – sie alle betrachteten Karls anstehende Verheiratung als ihren ureigenen Triumph. Schließlich wäre ohne ihre persönliche und fortwährende Unterstützung des Thronfolgers solch ein sensationeller Coup doch gar nicht möglich gewesen! König Wilhelm würde ihnen daher zu tiefer Dankbarkeit verpflichtet sein. Täglich wurden Briefe und Eildepeschen nach Stuttgart versandt, jeder Briefeschreiber beeilte sich, seine Teilhabe an Karls Erfolg ins bestmögliche Licht zu rücken.
Auch zwischen Palermo und St. Petersburg wanderten Briefe hin und her. Der wichtigste erreichte Olly, vier Wochen nachdem Karl um ihre Hand angehalten hatte.
»Er hat zugestimmt!« Freudestrahlend wedelte sie mit dem Brief des Zaren durch die Luft. »Vater erlaubt meine Heirat mit Karl. Mir fallen tausend Steine vom Herzen! Da, lies selbst.«
Während sich Olly einen Apfel aus der Obstschale nahm, die tagtäglich mit frischen Früchten gefüllt im Salon bereitstand, überflog Anna die dichtbeschriebenen Seiten. Glückwünsche, Dankesworte an Gott, den Allmächtigen. Schon in der Mitte des zweiten Absatzes kam der Zar zur Sache. Anna hatte nichts anderes erwartet.
Die Vorbereitungen für die Hochzeit seien bereits im vollen Gange. Das Fest sollte noch in diesem Sommer stattfinden. Fürst Wolkonski war dabei, Ollys Aussteuer zu komplettieren, während mehrere Minister gleichzeitig mit der Ausarbeitung eines Ehevertrages beschäftigt waren. Ein Rohentwurf lag dem Brief bereits bei. Darin wurde jedes Kleid, jeder zur Aussteuer gehörende silberne Kerzenhalter en détail erwähnt. Es wurde vertraglich festgelegt, wer das Gehalt von Ollys Zofen bezahlte und wer das von Ollys Leibkutscher. Sogar was im Falle des Ablebens eines der beiden Ehe gatten mit Ollys Aussteuer und ihren Angestellten zu geschehen hatte, war von den Ministern des Zaren schriftlich fixiert worden. Nicht, dass sie dabei etwas anderes als Ollys Bestes im Sinn hatten! Laut den Hausgesetzen der Romanows sollte Olly zu ihrer Verehe lichungeine Million Silberrubel erhalten – Geld, über das allein sie und nicht ihr Gatte zu verfügen hatte.
Dennoch verspürte Anna angesichts der vielen Paragraphen ein leichtes Unbehagen. Die Diplomatenware Zarentochter. Was hatte das alles mit Liebe zu tun? Sie wunderte sich nur, dass Olly noch keine Bemerkung in dieser Richtung gemacht hatte – früher hatte sie in solchen Dingen ziemlich empfindlich reagiert.
Anna legte den Brief zur Seite. »Dein Vater und seine Advokaten haben wirklich an alles gedacht. Du und deine Kinder werdet bestens versorgt sein.«
Olly schaute von ihrem Apfel auf. »Und ob. Ich werde reich und unabhängig sein und all das tun können, wovon ich immer geträumt habe. Wovon wir immer geträumt haben!«, korrigierte sie sich. »Meine Tante Katharina hat so viel Wohltätiges in Württemberg geleistet. Karl hat mir erzählt, wie es ihr einst gelungen ist, während einer großen Hungersnot das schlimme Elend der Menschen zu lindern. Ich werde alles daransetzen, ihr Werk würdig weiterzuführen. Ihr alle sollt stolz auf mich sein.« Herzhaft biss sie erneut von ihrem Apfel ab.
»Das sind wir doch ohnehin«, erwiderte Anna. »Glücklich sollst du sein, endlich glücklich! Und nicht immer nur an die anderen denken. Jetzt bist du an der Reihe.« Sie zeigte auf den Stapel Briefe, der auf dem Salontisch lag. »Wer hat denn noch geschrieben?«
»Frag lieber, wer nicht geschrieben hat, dann sind wir schneller fertig«, sagte Olly lachend. Sie legte den Apfelbutzen zur Seite und blätterte den Stapel durch. »Cerise, Sascha, Mary, sogar meine kleinen Brüder haben zu Papier und Feder gegriffen. Und dieser Brief hier ist aus Stuttgart. Fürst Gortschakoff bereitet alles für unsere Ankunft im Herbst vor. Bis unsere italienische Villa fertig ist, sollen Karl und ich im Stuttgarter Schloss wohnen. Gortschakoff schreibt, er lasse gerade eine russische Kapelle für mich errichten, so dass ich vom ersten Tag an meinen Glauben ausüben kann. Das ist doch nett, oder?« Schon nahm sie einen weiteren Umschlag in die Hand, öffnete ihn, überflog die wenigen Zeilen. »Von Mary. Sie gratuliert mir und fragt im selben Atemzug, ob ich Karl auch wirklich liebe.
Wasist denn das für eine Frage? Natürlich liebe ich ihn. Glaubst du, sie missgönnt mir mein Glück? Was kann ich dafür, dass ich bald die Königskrone tragen werde? Jeder bereitet sich das Bett, in dem er liegen wird, selbst, heißt es nicht umsonst.«
Statt sich auf
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