Die Zarentochter
hatte sich rund um den Boden gebildet. Champagner, es gab also etwas zum Feiern …
Schlagartig erinnerte sie sich: Mutters Geburtstag! Der Hochzeitstag der Eltern! Ihre Hochzeit!
Sie sprang so schnell aus dem Bett, dass ihr schwindlig wurde. Auf einem der Balkone rechts von ihr erblickte sie ihre Eltern. Huldvoll winkte das Zarenpaar den Musikern in ihren prächtigen Uniformen zu.
Während unten ein strammer Marsch gespielt wurde, brach Olly oben am Fenster in Freudentränen aus.
Der Winterpalast, Zarskoje Selo, Pawlowsk – schöne Orte gab es in und um St. Petersburg mehr als genügend. Olly hatte sich für ihre Hochzeit die Sommerresidenz Peterhof ausgesucht, zum einen wegen derunbeschreiblich schönen Lage am Meer, die ideal war, um zwischen den zahlreichen Soupers, Galadiners und Tanzveranstaltungen kleine Spaziergänge zu unternehmen. Zum anderen wegen des im barocken Stil erbauten Großen Palastes, der in Ollys Augen noch prunkvoller war als der Katharinenpalast in Zarskoje Selo. Der große Tanzsaal lud dazu ein, die Nächte durchzufeiern, die Gästehäuser rund um den Großen Palast sorgten für genügend Komfort für die weitgereisten Gäste, und die Schlosskirche, deren goldene Kuppeln mit der Sonne um die Wette strahlten, war ein Garant für ein besonders feierliches Ambiente. Dazu der Park mit seinen ungewöhnlichen Wasserspielen – Kenner behaupteten, es gäbe keinen schöneren Ort auf der Erde. Olly war mit ihrer Wahl vollauf zufrieden.
Auch was die Hochzeitsvorbereitungen anging, war trotz der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit an die kleinsten Details gedacht worden. Die Kühlhäuser quollen über vor Champagnerkisten und Bergen feinster Speisen. Die Gästeresidenzen blitzten vor Sauberkeit, die Betten waren mit frischem, hochfeinem Leinen bezogen worden, eine ganze Armee von Zimmermädchen stand parat, um die kleinste Staubfluse sofort zu entfernen. Der Ablauf der Feierlichkeiten war von Obersthofmarschall Schuwalow bis auf die Minute durchgeplant worden. Die Sonne schien, auch für die nächsten Tage wurde bestes Wetter erwartet. Doch selbst Regenwetter hätte den Feierlichkeiten keinen Abbruch getan. Die Zarenfamilie konnte von ihren Gemächern aus trockenen Fußes in die Schlosskirche gelangen, indem sie einfach die sechzehn Säle und Galerien des Palastes durchschritt.
Eigentlich konnte nichts mehr schiefgehen.
Obwohl sie sich diesen Satz gebetsmühlenartig vorsagte, war Olly ein einziges Nervenbündel, als sie sich zum Ankleiden im Adlersalon einfand, einem in Braun- und Goldtönen gehaltenen Zimmer im ersten Stock des Palastes. Außer ihrer Mutter, Anna, Cerise und Mary wuselte ein halbes Dutzend Zofen um sie herum. Hier wurde ein Kragen festgesteckt, da eine Spitzenbordüre glattgestrichen, Unmengen von Schmuck wurden ihr angelegt. Gleich drei Damen auf einmalmachten sich an Ollys Haaren zu schaffen: Unzählige Zöpfe wurden geflochten, Perlen eingefädelt, ein wertvolles Diamantdiadem befestigt. Die Luft war erfüllt vom Parfüm der Frauen, von freudiger Aufregung und liebevollen Neckereien.
Olly bekam von alldem nichts mit. In ihrem Kopf war nur ein dumpfes Summen, das keinen Raum ließ für irgendeinen vernünftigen Gedanken. Bestimmt würde sie gleich ohnmächtig werden. Dass alle ihr sagten, ihre Nervosität sei völlig normal, machte die Sache für sie auch nicht besser.
Nach gut zwei Stunden traten acht Kammerherren in den Salon, die Unmengen von wallendem Stoff zwischen sich trugen.
»Von nun an heißt es tapfer sein. Und keine menschlichen Bedürfnisse mehr zu verspüren«, raunte Mary Olly zu.
»Du schaffst das«, flüsterte Anna und drückte ihr kurz die Hand.
Auf ein Zeichen der Zarin traten je vier Männer an Ollys linke und rechte Seite. Nach einer tiefen Verneigung machten sich zwei der Kammerdiener daran, die Schleppe mit Hilfe mehrerer Schleifenbänder an Ollys Brautkleid zu befestigen. Kurz darauf spürte sie eine zentnerschwere Last auf ihren Schultern. Sie schaute an sich hinab und sah Unmengen von tiefrotem Samt, verbrämt mit weißem Hermelin, unterfüttert mit schwerem goldfarbenem Seidenstoff. Der großfürstliche Mantel. Jetzt wurde es ernst. Und noch immer war da dieses dumpfe Summen in ihrem Kopf.
Ihr Vater erschien im Türrahmen, mit zittriger Stimme verkündete er, dass der Bräutigam bereitstünde, um Olly in Empfang zu nehmen. »Eine so schöne Braut wie dich habe ich noch nie zuvor gesehen. Ich bin so stolz auf dich«, flüsterte er ihr ins
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