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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Tränen.
    Spontan ergriff Anna seine Hand.
    »Ich will nicht aufdringlich sein. Seit ich hier bin, hatten wir noch nicht viel miteinander zu tun, aber … Was halten Sie davon, wenn wir am Newski-Prospekt eine Tasse Tee trinken gehen, und Sie erzählen mir ein bisschen von Ihrem Dichterfreund?«
    Von Annas Herz fiel ein Dutzend Steine, als Shukowski freudig zustimmte. Keine Minute länger hätte sie es ausgehalten, in diesem goldenen Käfig eingesperrt zu sein!
    »Angefangenhat Puschkins Untergang kurz nach Weihnachten mit anonymen Briefen, in denen ein junger Mann namens Heckeren bezichtigt wurde, Puschkins schöner junger Frau Natalja den Hof zu machen. Kennen Sie Heckeren? Eigentlich ein harmloser Bursche, nicht wert, dass man einen zweiten Gedanken auf ihn verschwendet.« Shukowski winkte ab. »Aber Puschkin ging so in seiner Ei fersucht auf, dass er auf nichts und niemanden mehr hörte. Nicht auf die Unschuldsbeteuerungen seiner Frau, nicht auf uns, seine Freunde, die wir ihm die Idee von einem Duell ausreden wollten. Ein Dichter, an Griffel und Feder gewöhnt, mit einer Pistole in der Hand – man stelle sich das vor! Nicht einmal unserem Zaren gelang es, ihm diese Verrücktheit auszureden – und das war fast der noch größere Skandal!« Obwohl er flüsterte, drehten sich immer wieder Köpfe nach ihnen beiden um.
    Besonders wohl fühlte sich Anna im überfüllten Literaturcafé Wolf und Béranger mit seinen roten Wänden und dem Geruch nach alten Kleidern und ungewaschenen Leibern nicht, aber hierher zu kommen war der Wunsch ihres Begleiters gewesen. Hier an diesem Tisch hatte Puschkin gesessen, bevor er zum Duell mit dem vermeintlichen Galan seiner Frau aufbrach, an dessen Folgen er kurz darauf starb.
    »Der Einfluss des Zaren auf Puschkin war groß, nicht wahr?« Anna hatte die Hofdamen darüber reden hören, dass Nikolaus sich nun auch äußerst hingebungsvoll um die Witwe Natalja kümmere. Anna beteiligte sich an solchen Gesprächen nicht – solange sich der Zar ausgiebig um die Witwe kümmerte, fragte er sie nicht täglich nach Olgas Fortschritten.
    Shukowski nickte. »Jede Zeile, die Puschkin schrieb, bekam zuerst Nikolaus zu lesen, so wollte er sicherstellen, dass nichts und niemand – allen voran die Zensurkontrollen – Puschkin an seinen geistigen Höhenflügen hindern konnte. Und wie hat der Kerl es unserem Zaren gedankt?«
    Anna biss sich auf die Lippe. Trotz der Liebe zu Puschkin war offensichtlich, wo Shukowskis Loyalität lag. Deshalb behielt sie geflissentlich für sich, dass ihr Bruder ihr einmal erzählt hatte, was man sich hinter vorgehaltener Hand zuflüsterte: dass Nikolaus’ Gunstbezeugungschlimmer für Puschkin wäre als jede Zensur. Er fühle sich dadurch geistig entmündigt, daher habe er auch schon im Sommer 1834 versucht, seinen Abschied beim Zaren einzureichen, worauf dieser äußerst verstimmt reagiert hatte.
    Über ihr Teeglas hinweg warf Anna Shukowski einen Blick zu. Wäre der geniale Dichter womöglich noch am Leben, wenn er Puschkin damals nicht vehement zum Bleiben überredet hätte?
    »Genug von der leidigen Geschichte, sie weckt den Toten auch nicht mehr auf.« Shukowski winkte der Bedienung und ließ sich eine Flasche bringen, auf deren Etikett sein Name in groben Lettern vermerkt war. Er schien hier Stammgast zu sein.
    »Birnenbrand – wärmt das Herz! Möchten Sie?« Als Anna ablehnte, schenkte er sich ein großzügiges Glas voll.
    »Jetzt erzählen Sie. Wie ergeht es Ihnen bei uns? Ich habe den Eindruck, Sie haben sich bestens in unseren streng reglementierten Alltag mit seinen unzähligen Fallstricken eingewöhnt, oder?«
    »Jedenfalls genieße ich es, mich nicht mehr um schrumpfende Holzvorräte, zerborstene Wasserleitungen und leere Kassen sorgen zu müssen. Dafür befolge ich gern ein paar kleine, teilweise unsinnige Regeln«, erwiderte Anna lächelnd. »Und wenn ich doch mal in ein Fettnäpfchen trete, dann hoffe ich darauf, dass man mir Landei dies verzeiht.«
    »Von wegen Landei – Sie haben sich doch längst unser aller Wertschätzung verdient!« Shukowski hob sein Glas.
    Anna runzelte die Stirn. »Schön und gut, aber was meinen Zögling angeht, scheine ich auf ganzer Linie zu scheitern.« Als sie Shukowskis fragenden Blick sah, schilderte sie in knappen Worten, was vorgefallen war. »Wie soll ich sie auf das Leben vorbereiten, wenn sie nichts mit mir unternehmen will? Sie spricht ja kaum mit mir, viel lieber redet sie mit dem lieben Gott oder ihrem

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