Die Zarentochter
gefreut, seit Ewigkeiten davon geträumt, dieses Schatzkästchen besuchen zu dürfen. »Ich zeige Ihnen haargenau, wie man einen Fächer hält. Ihre Schwester wird sich noch wundern, wie graziös Sie bald daherkommen«, versuchte sie Olly erneut zu locken.
Olly rümpfte die Nase. »Graziös, das ist eh nichts für mich.«
Seufzend warf Anna ihren Pelzmantel auf Olgas Bett, wo sich sofort der Hund darauflegte, dann setzte sie sich zu Olga an den Tisch. »Ich verstehe Sie wirklich nicht, jedes andere junge Mädchen hätte diesem Ausflug entgegengefiebert«, sagte sie. »Vor zwei Tagen haben Sie unseren Besuch bei der Hofschneiderin abgesagt, in der Woche zuvor die Visite bei der Hutmacherin. Zum Maskenball für die St. Petersburger Jugend, zu dem Mary und Sie eingeladen waren, wollten Sie auch nicht gehen, der Besuch bei St. Petersburger populärster Blumenbinderin hat Sie ebenfalls nicht gereizt. Gibt es überhaupt etwas, das Sie interessiert?«
Olly schaute nicht einmal auf, aber Anna glaubte, ein kleines Lächeln um ihre Mundwinkel spielen zu sehen.
»Haben Sie etwas gesagt?«, fagte Anna scharf, wohlwissend, dass kein Ton über Ollys Lippen gekommen war.
Die Großfürstin schüttelte nur den Kopf. »Ich bin zufrieden mit dem, was ich habe, vielen Dank«, sagte sie in so betont folgsamem Ton, dass Anna sich erneut genarrt fühlte.
»Sie mögen damit zufrieden sein, Ihr Vater ist es nicht«, sagte sie barscher, als sie wollte.
Zumersten Mal, seit sie das Zimmer betreten hatte, schaute Olly hoch, wenn auch nur für die Dauer eines Augenaufschlags.
»Warum sagen Sie mir nicht einfach, worauf Sie Lust haben? Wollen Sie einmal eine Bibliothek besuchen? Oder sollen wir ins Theater gehen? Oder ins Ballett?«, fragte Anna fast flehentlich.
Was für ein anstrengendes Mädchen. Nie hätte sie gedacht, dass die Aufgabe, die Zar Nikolaus ihr gestellt hatte, so schwer werden würde.
Als er zu ihr kam, waren seine Worte eindeutig und klar gewesen: Sie, Anna Alexejewna Okulow, sollte dafür sorgen, dass die vierzehnjährige Olga ihre Schüchternheit verlor und sich zukünftig selbstsicher auf jedem Parkett der Welt bewegen konnte. Auch sollte Olga endlich weiblichen Charme und Anmut entwickeln, um damit die bedeutendsten Männer in ihren Bann zu ziehen. Nach Zarewitsch Alexander und Mary sollte auch Olga baldmöglichst in ein mächtiges Herrscherhaus Europas einheiraten, damit die Macht Russlands weiter gestärkt wurde.
Der Gedanke, dass sie mit ihrem Unternehmen scheitern könnte, erschreckte Anna nun so sehr, dass sie zu zittern begann. In der Hoffnung, ihre Fassung wiederzuerringen, nahm sie einen Edelstein und tat so, als bewundere sie ihn eingehend.
Sie konnte es sich einfach nicht erlauben, Zar Nikolaus zu enttäuschen. Nicht nach all dem, was er für sie getan hatte, angefangen bei den Vergünstigungen, die er ihrem Status als Hofdame hinzugefügt hatte, der Übernahme ihrer Schulden, der Schulgeldzahlung für ihre Geschwister bis hin zur Einstellung eines neuen Verwalters für ihr Landgut. Der kranken Mutter bezahlte Nikolaus einen unbegrenzten Aufenthalt in Bad Doberan. Und das alles, um Anna freizu stellen für ein Leben an Olgas Seite. Für den Zeitpunkt von Olgas Verheiratung in zwei, drei Jahren, wenn Annas Dienste nicht mehr gefragt sein würden, hatte der Zar ihr außerdem eine »Erfolgsprämie« in Höhe von tausend Silberrubeln versprochen. Und darüber hinaus würde sie eine lebenslängliche Pension von jährlichen fünfhundert Silberrubeln erhalten. Und das sollte alles hinfällig werden, nur weil sie keinen Zugang zu Olga fand?
Annanahm einen anderen Edelstein in die Hand. Welch skurrile Einschlüsse er unter der Oberfläche aufwies! Wie Olga, schoss es ihr durch den Kopf. Die Oberfläche glatt, aber darunter tobten Stürme.
Nicht, dass es ihr einzig um Geld und Position gegangen wäre. Auch Olgas wegen wollte sie an einen Misserfolg nicht einmal denken. So verstockt und freudlos, wie das Mädchen durchs Leben lief, würde es am Ende tatsächlich als alte Jungfer enden. Undenkbar für eine Großfürstin!
Nein, so einfach warf sie die Flinte nicht ins Korn. Anna holte tief Luft.
Rede mit mir! Gib mir endlich eine Chance, dir zu helfen! , wollte sie sagen. Ich bin deine Freundin, nicht dein Feind. Ich will und kann dir deine geliebte Charlotte nicht ersetzen. Du kannst mich jedoch gernhaben, ohne dir Charlotte aus dem Herzen reißen zu müssen.
»Ihre Mineraliensammlung wird immer umfangreicher.
Weitere Kostenlose Bücher