Die Zarentochter
dann?«
Annas Blick war voller Vorfreude, als sie sagte: »Liebe Großfürstin, ich werde als Hofdame zu Ihnen kommen und Sie begleiten, bis Sie in wenigen Jahren als junge Braut Ihren Eltern und Ihrer Familie auf Wiedersehen sagen. Ich werde immer an Ihrer Seite sein, ich werde Sie unterstützen, Ihnen alles beibringen, was ich weiß und kann. Und ich wünsche mir von Herzen, dass ich Ihnen eine gute Freundin sein darf.«
7. KAPITEL
O bwohl es erst drei Uhr nachmittags war, dämmerte es draußen bereits. Vor dem Winterpalast waren die Laternenanzünder damit beschäftigt, den Schlossplatz in Licht zu tauchen.
Schaudernd wandte Anna Okulow ihren Blick vom Fenster ab. Wie sie den Februar hasste! Überhaupt hatte sie die Nase gestrichen voll von der kalten Jahreszeit, die nun schon so lange dauerte und deren Ende noch nicht in Sicht war.
Wie jeden Winter war die Stadt längst in eine Art Starre gefallen: Alles war eingefroren, angefangen bei den Kanälen bis hin zu den flachen und salzarmen Wassern des Finnischen Meerbusens. Nicht einmal eingehüllt in die dicksten Pelze war die Kälte auf längere Zeit zu ertragen. Kaum war man draußen, schossen einem Tränen in die Augen, die gleich darauf an den Wangen gefroren. Nach jedem Spaziergang schauten die Hofdamen verzweifelt in den Spiegel: diese rissige rote Haut! Und wie schrecklich sahen die geplatzten Äderchen aus! Würde man jemals wieder einen glatten, ebenmäßigen Teint bekommen?
Was für Sorgen, dachte Anna jedes Mal bei sich, wenn sie das Gejammer der anderen mitbekam.
Auf ihrem Landgut hatte es auch im eisigsten Winter immer etwas Wichtiges gegeben, worum sie sich kümmern musste: zerborstene Wasserleitungen, ein undichtes Dach in einem der Ställe, schwindende Futtervorräte – geplatzte Äderchen in rissiger Haut waren das Letzte gewesen,woran sie einen Gedanken verschwendet hatte. Aber diese Zeiten lagen nun hinter ihr.
Der Hauch von Wehmut, den dieser Gedanke mit sich trug, verflog, als Anna vor ihrem Fenster eine vermummte Gestalt sah, die ein Rentier neben sich führte. Ein Samojede! Die Einzigen, die den Winter zu genießen schienen, waren die Samojeden, die wie jedes Jahr mit ihren Rentieren vom Polarkreis angereist waren. Anna hatte ihren Augen nicht trauen wollen, als sie sah, dass die Männer ihr Nachtlager ausgerechnet auf einem der zugefrorenen Seitenkanäle aufgeschlagen hatten. Gerade so, als wäre es ihnen anderswo in St. Petersburg zu warm. Tagsüber bezogen sie meist in der Nähe des Winterpalastes Stellung, in der Hoffnung, ein paar Kinder und abenteuerlustige Erwachsene für ein paar Kopeken auf ihren Rentieren durch die Gegend führen zu dürfen.
Wie urtümlich die Tiere aussahen. Wie Fabelwesen aus einer vergangenen Zeit.
Ob sie Olga einmal einen Rentierritt vorschlagen sollte? Würde sie damit auf ein wenig Begeisterung stoßen? Anna bezweifelte es. Wahrscheinlich würde ihr Zögling auch an dieser Unternehmung etwas auszusetzen haben. Seufzend schnappte sie ihren Fuchsmantel und machte sich auf den Weg zum Zimmer der Großfürstin.
»Sie sind noch nicht angezogen? Unser Fahrer steht schon bereit, wir sind in einer halben Stunde bei Madame Ruschkowa angemeldet!« Fassungslos schaute Anna auf die Großfürstin, die am Tisch vor dem Fenster saß, vor sich ihre Mineraliensammlung, eine Lupe und ein Bestimmungsbuch.
»Ich hab’s mir anders überlegt«, sagte Olly und betrachtete dabei eingehend einen rosafarbenen Stein.
»Wie, anders überlegt? Dieser Ausflug steht seit Tagen fest, Madame Ruschkowa hat extra für uns den ganzen Nachmittag reserviert.« Vergeblich versuchte Anna, Ollys Hündchen abzuschütteln, das immer wieder an ihr hochsprang.
»Glauben Sie mir, liebe Großfürstin, Madame Ruschkowas Atelier ist einen Besuch wert, man fühlt sich in eine völlig andere Welt versetzt.
EineWelt, in der es keinen Winter gibt, sondern duftende Blumenwiesen und Sonnenschein. Und dazu bunte Farben, barocke Muster und sommerliche Szenerien, außerdem Berge von Klöppelspitze, Töpfchen mit echter Goldfarbe. Bei den Materialien ist es kein Wunder, dass ihre Fächer einzigartig sind. Nun kommen Sie schon …«
Olly schüttelte stumm den Kopf. »Mary meint auch, dass ich mir diesen Besuch sparen kann. Ich wisse sowieso noch nichts mit einem Fächer anzufangen, sagt sie.«
»Aber deswegen gehen wir doch zu Madame Ruschkowa«, sagte Anna und spürte, wie sich Enttäuschung in ihr breitmachte. Sie hatte sich so auf diesen Ausflug
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