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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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ihrer, Ollys, Nähe bleiben zu können. Sie würden sich weiterhin sehen. Sie würden Zeit haben, sich noch besser kennenzulernen. So, wie er ihr seine Heimat gezeigt hatte, würde sie ihm Russlands Schönheiten vorführen.
    Er könne nicht anders, als dorthin zu gehen, wohin sein Herz es befehle, hatte er gesagt und sie geküsst. Wenn sie tief in ihr Innerstes hineinhorchte, wusste sie längst, dass ihre Gefühle für Alexander viel mehr waren als bloße Sympathie.
    Er war der Richtige.
    Sie jubelte darüber so sehr, dass ihr Herz vor Freude aus ihrer Brust zu hüpfen drohte. Im nächsten Moment jedoch war jegliche Zuversichtverloren, und ihr wurde schlecht vor Angst. Sie und Alexander? Wie sollte das gehen? Sie war doch Stephan versprochen! Wenn jemand erfuhr, wie tief ihre Gefühle für Cerises Bruder waren, würde man nichts unversucht lassen, sie auseinanderzubringen.
    Im Dunkeln fingerte sie nach Streichhölzern, entzündete die Kerze auf ihrem Nachttisch. Sie hätte so gern mit jemandem über alles geredet! Aber das ging nicht. Ihre Liebe zu Alexander war zerbrechlich wie ein rohes Ei, und genauso sorgsam musste sie darauf aufpassen.
    Irgendwann drehten sich ihre Gedanken nur noch im Kreis. Getrieben vor innerer Anspannung tat Olly etwas, was sie schon lange nicht mehr gemacht hatte, sie griff nach ihrer Bibel. Wie hatte Charlotte, ihr altes Kindermädchen, immer gesagt? »Gott weiß am besten, welche Zeilen für dich hilfreich sind.«
    Also schlug Olly die Bibel auf. Ließ mit geschlossenen Augen die dünnen Blätter durch ihre rechte Hand gleiten. Der leise Luftzug, den sie auf ihren Wangen spürte, hatte etwas Beruhigendes. Nach ein paar Sekunden hielt sie den Blätterfächer mit ihrem Zeigefinger an.
    Ist der Geist Gottes in euch, so wird Gott, der Jesus von den Toten auferweckte, auch euren sterblichen Leib durch seinen Geist wieder lebendig machen; er wohnt ja in euch. Darum, liebe Brüder, müssen wir nicht länger den Wünschen und dem Verlangen unserer alten menschlichen Natur folgen. Denn wer ihr folgt, ist dem Tode ausgeliefert. Wenn du aber auf die Stimme Gottes hörst und ihr gehorchst, werden die selbstsüchtigen Wünsche in dir getötet, und du wirst leben. Alle, die sich vom Geist Gottes regieren lassen, sind Kinder Gottes.
    Stirnrunzelnd schaute Olly nach, wo sie gelandet war: im Neuen Testament, im Römerbrief. Seltsam, was hatten diese Zeilen mit ihr zu tun?
    Wenn du auf die Stimme Gottes hörst … selbstsüchtige Wünsche … getötet … du wirst leben. Alle sind Kinder Gottes.
    Olly starrte so krampfhaft auf die Bibelzeilen, bis diese vor ihren Augen verschwammen. War Stephan ein selbstsüchtiger Wunsch ge wesen?Weil sie allen hatte zeigen wollen: Schaut her, so geht’s! So schnell habe ich mir einen mächtigen Thronfolger geangelt.
    Wollte Gott ihr sagen, dass sie nicht vorwitzig sein sollte? Dass sie besser seiner Stimme folgte als der ihren?
    Der Gedanke war so erregend, dass Olly aus dem Bett sprang, das Fenster aufriss und in den nächtlichen Himmel schaute, als würde ihr Gott von dort eine Antwort zurufen. Doch außer einem trüben Firmament, an dem ein paar Sterne milchig glänzten, war da nichts.
    War Stephan womöglich nichts als eine Sternschnuppe gewesen? Flüchtig, vergänglich …
    Stattdessen hatte Gott dafür gesorgt, dass Alexander und sie sich über den Weg liefen. Ein Mann von solch innerer Stärke und Herzenswärme, wie sie noch keinen erlebt hatte. Sollte sie dafür nicht dankbar sein, statt ängstlich an alles Wenn und Aber zu denken?
    Sie wäre nicht die Erste, die eine Verlobung wieder löste. Außerdem, so richtig ernsthaft war alles eh noch nicht, oder?
    Trunken vor Glück, sog Olly tief die kühle Nachtluft ein. Wenn Alexander den Mut hatte, seine geliebte Heimat für Russland aufzugeben, dann würde auch sie Mut und Gottvertrauen haben.
    Mary hatte für ihr Glück gekämpft. Warum sollte sie das nicht auch können? Sie musste es nur geschickt anstellen.

18. KAPITEL
    M adame Okulow!«
    Anna drehte sich so rasch um, dass ihr Tuch von den Schultern rutschte.
    Der Zar bückte sich im selben Moment wie sie, um es aufzuheben, was zur Folge hatte, dass ihre Köpfe zusammenstießen. Erschrocken wich Anna einen Schritt zurück. »Verzeihen Sie, Hoheit, ich wollte nicht …«
    Der Zar winkte ab und bat sie, ihm ein Stück zu folgen. Mit bangem Herzen stapfte Anna hinter ihm her. Schlagartig fielen ihr mindestens ein Dutzend Dinge ein, die der Zar auszusetzen haben

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