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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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meisten handelt es sich um unsere Lehrer. Anna hingegen ist meine allerbeste Freundin«, sagte sie voller Inbrunst. »Aber sie ist gewiss nicht da, um hinter mir herzuräumen oder mir einen goldenen Löffel in den Mund zu schieben. Meine Anna, Wassili Shukowski und die anderen – von ihnen sollen wir lernen, lernen, lernen! Das ist für Vater das Wichtigste. Vielleicht rührt dies daher, dass er als drittgeborener Sohn selbst nur eine mindere Ausbildung genießen durfte. Uns, seinen Kindern, soll es da besser gehen.«
    »Dein Vater ist als drittgeborener Sohn Zar von Russland geworden? Wer weiß, was die Zukunft dann mir erst bringt«, sagte Alex ander lachend.
    »Apropos bodenständig, du müsstest mal meine Schwester Mary sehen. Wie sie sich mit Mann und Kind in ihrem Haus eingerichtet hat! Wie eine brave Hausfrau.«
    »Ihr Mann ist doch der mit der zweifelhaften Herkunft, nicht wahr? Sozusagen einer wie ich.«
    »Blödsinn«, sagte Olly rasch. Natürlich hatte Anna ihr längst brühwarm erzählt, was die Schlossbediensteten hinter vorgehaltener Hand tratschten: dass Alexander gar nicht der drittgeborene Sohn Ludwigs war, sondern einer Affäre seiner vor vier Jahren verstorbenen Frau entstammte. Olly hatte das Gespräch sofort beendet, so etwas wollte sie nicht hören.
    Der Esel, dem allmählich langweilig wurde, blökte und stieß seinen Wassereimer um. Sie mussten lachen, der angespannte Moment war vorüber.
    »Trotzdem, einen drittgeborenen Sohn würden deine Eltern als Ehemann für dich nie akzeptieren«, setzte Alexander erneut an. »Je derkann sehen, wie sehr dein Vater dich vergöttert.« Sanft hob er Ollys Hand und küsste jeden einzelnen speckigen Finger.
    Gleich blieb ihr Herz stehen, bestimmt! Wie es klopfte und raste! Vor lauter Aufregung nahm Olly einen tiefen Schluck Wein, woraufhin ihr noch schwindliger wurde.
    »Soll das … ich meine, was … willst du mir damit sagen?«, fragte sie stockend.
    »Als ob ich dir etwas sagen dürfte , dazu habe ich doch gar kein Recht!« Alexander sprang auf und trat bis nach vorn an den Abgrund. Seine Schultern bebten. »Immerhin bist du mit dem zukünftigen ungarischen Palatin verlobt.«
    »Ach das …« Olly lachte verkrampft auf. Sollte sie sagen, das wäre nur eine Jungmädchenspinnerei gewesen? Ein verrückter Einfall, mit dem sie sich vor gut einem Jahr ein wenig Ruhe vor dem schrecklichen Heiratskarussell verschafft hatte? Sollte sie sagen, dass sie in einem spontanen Moment einer Sache zugestimmt hatte, die sie seitdem schon tausendmal bereut hatte? Genauer gesagt seit sie ihn kannte. Jeden Abend dankte sie ihrem Herrgott, dass Stephan nun doch nicht wie geplant nach Bad Ems kam. Das Warum und Wieso seiner Absage interessierte sie nicht einmal.
    »Das ist doch nicht so wichtig«, sagte sie schließlich lahm. Plötzlich war ihr, als habe sich eine düstere Wolke vor die Sonne geschoben. Verflixt, warum hatte er sie unbedingt an Stephan erinnern müssen?
    »Du täuschst dich, für mich ist das sehr wichtig.« Im nächsten Moment war Alexander bei ihr, fiel vor ihr auf die Knie. »Sag mir einen Grund, warum ich meine Schwester nach St. Petersburg begleiten sollte, wenn du kurz darauf nach Österreich oder Ungarn wegziehst?«
    »Du würdest mitkommen?«, flüsterte Olly, die den Gedanken an ihre Heimreise und die bevorstehende Trennung bisher erfolgreich verdrängt hatte. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll …«
    Für einen langen Moment hielten sie sich mit ihren Blicken fest, dann begann Alexander zu rezitieren:
    »Surle printemps de ma jeunesse foll e Je ressemble à l’hirondelle, qui vol e Puis çà, puis là, j’allais , Où le cœur me disait … «
    Zärtlich strich er Olly eine Haarsträhne hinters Ohr. »Das sind Verse von Clément Marot. Wann immer ich dich sehe, kommen mir seine Worte in den Sinn. In meiner Muttersprache lauten sie ungefähr so:
    »Im Frühling, im Überschwang meiner Jugen d gleiche ich der Schwalbe , die bald da-, bald dorthin fliegt , ich ging, wohin das Herz es befahl. «
    »Ich liebe Gedichte. Es ist wunderschön«, hauchte Olly.
    Alexander lachte auf.
    »Wunderschön und eine Tollheit zugleich. Mein ganzer Verstand sagt mir, dass es verrückt ist, dir nach Russland zu folgen, aber ich kann nicht anders! Weil mein Herz es mir befiehlt.«
    An diesem Abend konnte Olly lange nicht einschlafen. Immer und immer wieder spielte sie in Gedanken das Gespräch im Weinberg durch. Alexander wollte Cerise nach Russland begleiten, um in

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