Die Zarentochter
der kühlen Schlossmauern. Am Ende waren sie wieder einmal zu viert aufgebrochen: Sascha, Cerise, Olly und Alexander.
Sie waren dem steil hervorspringenden Felsen mit der Burg schon ein gutes Stück näher gekommen, als Alexander plötzlich in Ollys Zügel griff. »Anhalten! Sascha, Cerise, wartet bitte. Ollys Esel lahmt.« Schon reichte er ihr die Hände, um ihr beim Absteigen zu helfen.
»Das habe ich gar nicht gemerkt«, murmelte Olly.
»Er hat sich einen Stein eingetreten«, konstatierte Alexander, nachdem er den Huf des Tieres angehoben hatte.
»Bedeutet das etwa, dass wir umkehren müssen?«, fragte Cerise sichtlich enttäuscht. »So kurz vor dem Gipfel?«
Alexander zuckte mit den Schultern. »Ollys Esel kann jedenfalls nicht weiterlaufen, es wird schon schmerzhaft genug für ihn, den Nachhauseweg zurückzulegen.«
»Dann geht doch ihr drei allein«, sagte Olly. »Ich warte hier irgendwo.« Mit einer unbestimmten Geste zeigte sie hinter sich.
»Das kommt überhaupt nicht in Frage«, sagten Sascha und Alex ander wie aus einem Mund. Alexander ergänzte: »Dein Vater würde mir den Kopf abreißen, wenn ich dich hier allein zurücklasse, und das zu Recht.«
»Und wenn Burg Lahneck noch so schön ist – schöner als hier kann es nirgendwo sein«, sagte Olly und seufzte vor Wohlbefinden laut auf.
Nachdem sie sich von Sascha und Cerise verabschiedet hatten, die darüber alles andere als unglücklich schienen, war Alexander auf halbem Weg bei einem Winzer, den er kannte, eingekehrt. Der alte Mann hatte sie auf seine Terrasse eingeladen. Dann war er ins Haus gerannt, hatte Wein, Brot und Speck gebracht und ihnen eine frohe Mahlzeit gewünscht. Nun saßen sie auf wackligen Stühlen unter knorrigen Bäumen, deren Namen Olly nicht kannte, aßen und unterhielten sich. Der Esel stand zufrieden daneben, staubte ab und an ein Stück Brot ab, kühlte sein Bein in einem Eimer Wasser und schien die grandiose Aussicht ins Tal ebenso zu genießen wie die Menschen.
Lächelndschenkte Alexander Olly einen Schluck Wein nach. »Es freut mich, dass es dir hier gefällt. Das hier« – er machte eine ausholende Handbewegung – »ist ja nicht gerade ein Grandhotel. Aber du verblüffst mich jeden Tag aufs Neue. Euch Zarenkinder habe ich mir viel verwöhnter vorgestellt.«
Olly verschluckte sich fast an ihrem Stück Brot. »Wie kommst du denn auf so etwas?«
»Schau nicht so entsetzt, das war ein Kompliment«, sagte Alexander und strich ihr leicht über die Wange.
»Na dann …« Musste er sie ausgerechnet jetzt so genau anschauen? Bestimmt war ihr Gesicht vor Hitze puterrot. Und das Kleid mit seinen tausend Rüschen sah inzwischen auch nicht mehr besser aus als die Arbeitsschürze der Winzergattin, zerknittert, angegraut und verschwitzt. Verlegen nahm Olly einen Schluck Wein.
»Ich meine, für die Tochter des russischen Zaren bist du ziemlich normal. Sitzt mit mir bei einem einfachen Winzer und trinkst einfachen Wein.«
»Und schwitze wie ein einfacher Mensch, hast du vergessen«, sagte Olly trocken und wischte sich ein paar Schweißperlen von der Stirn. Oje, jetzt konnte sie kaum noch atmen. Und schwindlig war ihr auch. Wie so oft, wenn sie in Alexanders Nähe war.
»Genau das meine ich«, kam es triumphierend von Alexander. »Wo sind denn all die Zofen, Hofdamen und Bediensteten, die dir jeden Handgriff abnehmen? Wo ist all der Prunk und Pomp, von dem die Leute, die nur einmal bei euch waren, ein Leben lang schwärmen? Eigentlich müsste hier doch eine Garde von Leibwächtern stehen und die Brotzeit vorkosten. Du und Sascha, ihr kommt mir jedoch sehr bodenständig vor.«
Olly lachte laut auf. »Das hätte jetzt mein Vater hören sollen. Er wirft uns nämlich immer vor, wir wären schrecklich verwöhnt und faul.«
Alexander stimmte in ihr Lachen ein. Mit dem großen Messer, das der Winzer ihnen dazugelegt hatte, säbelte er eine weitere Scheibe Speck ab. Nachdem er sie in kleine Teilchen geschnitten hatte, gab er immer eines an Olly, bevor er sich selbst eins nahm.
Ollywar längst satt. Auch hatte der salzige Speck sie so durstig gemacht, dass sie ein ganzes Fass Wein hätte trinken können. Dennoch nahm sie mit zittriger Hand ein Stückchen Speck nach dem anderen.
»Vater hat uns immer zu einem bescheidenen Leben angehalten, im tiefsten Herzen ist auch er ein einfacher Mann. Eine Brotzeit wie diese hier würde ihn zum glücklichsten Menschen machen. Und was die Bediensteten angeht, die wir Kinder haben – bei den
Weitere Kostenlose Bücher