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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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könnte: Dass sie ihren Schützling zu viel allein gelassen hatte. Dass Olly mit ihrem Schopf noch immer wie ein Kadett aussah. Dass sie jemandem ins Wort gefallen war oder sich anderweitig danebenbenommen habe. Den schlimmsten aller Gedanken traute sie sich erst gar nicht zu denken, nämlich dass Olly zu innig mit dem hessischen Prinzen beisammen gewesen war.
    Es war der Morgen des großen Aufbruchs. Während sich in den Kastanien immer mehr Vögel für den langen Flug gen Süden sammelten, wurden die russischen Kutschen mit immer mehr Koffern beladen, bevor sie nach Osten zogen. Im Badeschloss verabschiedete sich Cerise tränenreich von ihrer Familie. Und auch der Rest der Zarenfamilie nahm Abschied von den im Laufe der Wochen liebgewonnenen Menschen.
    Soschön die Zeit in Bad Ems gewesen war, Anna freute sich unbändig auf St. Petersburg und sein städtisches, elegantes Treiben.
    »Liebe Madame Okulow, jetzt sind Sie schon fast vier Jahre bei uns.«
    »Ja«, sagte Anna gedehnt. Was kommt jetzt?, dachte sie. Ging ihm Ollys Verheiratung mit Stephan nicht schnell genug? Was sollte sie daran ändern?
    »Ich wollte Ihnen nur verkünden, wie zufrieden ich mit Ihnen bin«, sagte der Zar, kaum dass sie sich ein paar Schritte von den Kutschen und dem großen Trubel entfernt hatten. »Von allen Seiten bekamen wir die löblichsten Komplimente für Olga zu hören, für ihren Charme, ihre Anmut, ihre Klugheit.«
    Also hatte er nichts an Olly auszusetzen. Oder an ihr. Tausend Steine fielen von Annas Herzen. Um ihre Erleichterung zu verbergen, knotete sie umständlich ihr Schultertuch.
    »Ach, ich könnte die Welt umarmen«, sagte der Zar aufgeräumt. »Olly hat sich prächtig entwickelt. Sascha hat mit der kleinen Cerise eine wunderbare Wahl getroffen. Und als würde das nicht reichen, bekomme ich ihren Bruder als Dreingabe für meine Armee. Was für ein Glücksfall!«
    Ein Glücksfall? Für Anna war dieser Umstand vielmehr ein Wermutstropfen im vollen Kelch ihrer Vorfreude auf Petersburg. Wie konnte es sein, dass so kluge Männer wie der Zar manchmal so blind waren?, fragte sie sich nicht zum ersten Mal.
    Als sie erfahren hatte, dass Alexander mit ihnen nach St. Pe ters burg reisen wollte, war sie aus allen Wolken gefallen. Mehr als einmal hatte sie das Gespräch mit Olly gesucht, ihren Schützling immer wieder gemahnt, nichts Unbedachtes zu tun, sich in nichts hineinzusteigern, was keine Zukunft haben konnte. Doch Olly wollte davon nichts hören. »Das verstehst du nicht, Anna«, bekam sie stattdessen zu hören. Und: »Vertrau mir, Gott hat mir den Weg gezeigt, nun weiß ich wirklich, was gut und richtig für mich ist. Lass mich einfach nur machen.«
    Anna wurde es ganz anders bei dem Gedanken an das, was dabei herauskommen würde. Wenn Nikolaus von Ollys Amour etwas mitbekam – er würde ihr, Anna, den Kopf abreißen!
    »Ichweiß nicht«, fing sie vorsichtig an, »der junge Prinz von Hessen scheint mir sehr heimatverbunden zu sein. Vielleicht wäre es doch besser, er entschiede sich hierzubleiben.«
    »Wegen ein bisschen Heimweh? Nichts da, verlässliche Männer, die mir und meiner Familie treu ergeben sind, kann ich gut gebrauchen«, antwortete der Zar irritiert.
    Treu ergeben? Das war Alexander nur einem Menschen, und der hieß Olly.
    »Verzeihen Sie meinen dummen Einwand«, sagte Anna rasch. Sie nahm all ihren Mut zusammen und fuhr fort: »Da wäre noch etwas … Gibt es denn endlich neue Nachrichten aus Wien?«
    Ein Schatten huschte über die aufgeräumte Miene des Zaren. »Leider nein. Oder sollte ich sagen: Nicht die Nachrichten, die Olly herbeisehnt. Es sollen gesundheitliche Probleme gewesen sein, die Erzherzog Stephans Reise nach Ems unmöglich machten.« Der Zar, der selbst über die Konstitution eines Schlachtrosses verfügte, schüttelte verständnislos den Kopf. Im nächsten Moment lächelte er. »Aber Stephan ist ja nicht der Einzige, der um Olly werben möchte. Der Charme und die Schönheit meiner Tochter sind in ganz Europa zum Gesprächsthema geworden. Stellen Sie sich vor, jetzt trägt sich auch schon Erzherzog Albrecht aus Österreich mit dem Gedanken!« Jedes Wort war von väterlichem Stolz erfüllt.
    Anna runzelte die Stirn. »Soviel ich weiß, war Olly nicht allzu angetan von ihm«, sagte sie bedächtig. Die Wahrheit lautete: Olly hatte den Mann schrecklich unsympathisch gefunden.
    »Was ich nicht nachvollziehen kann. Albrecht ist ein tapferer Soldat, ich werde ihm gewiss nicht verbieten, um meine

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