Die Zarin der Nacht
Ebenbild von Alexandrine stehen blieb; sie ist da sieben Jahre alt, trägt einen Kokoschnik und sieht ganz besonders liebreizend und jungfräulich aus.
»Kaiserliche Majestät!« Ein Paar brennender brauner Augen blickt in ihre. Gustav Adolf beugt sich über ihre Hand, um sie zu küssen.
»Das kann ich nicht zulassen«, sagt sie lächelnd. »Ich kann nicht vergessen, dass der Graf von Haga ein König ist.«
Der König verbeugt sich erneut mit ungezwungener Anmut. »Wenn Majestät mir nicht gestatten wollen, Ihnen als Kaiserin die Hand zu küssen, dann gestatten Sie es mir zumindest bei einer Dame, der ich so viel Respekt und Bewunderung schulde«, sagt er in perfektem, elegantem Französisch. Das Vergnügen, sich einer russischen Herrscherin gegenüber zu wissen, wird er nicht so schnell vergessen. Diese Ehre wird der MaÃstab sein, den er an alle zukünftigen Begegnungen legen wird; doch an diese hier werden sie ganz sicher nicht heranreichen.
Sonnenlicht fällt durch die offenen Vorhänge, lässt die Mosaiksteine auf dem raffiniert gestalteten FuÃboden aufleuchten und wird von den goldenen Vasen auf dem marmornen Kamin reflektiert.
Die Hände des Königs sind weià und weich. Könnten sie ein Pferd zügeln? Es daran hindern durchzugehen?
Nach einem kurzen Moment des Zögerns reckt Le Noiraud die Brust und postiert sich direkt neben ihr. Der König und der Regent beachten ihn nicht mehr, Grund genug zu schmollen.
Der König spricht weder von Gott noch vom Schicksal, allerdings â ist es Bescheidenheit oder Vorsicht? â erkundigt er sich auch nicht nach Alexandrine. Stattdessen wiederholt er das Loblied auf den Winterpalast, das er von seinem verstorbenen Vater gehört hat. Keine Beschreibung hätte jedoch dem ge
recht werden können, was er mit eigenen Augen zu sehen die Ehre gehabt habe. Er habe Raffaels Loggia sehr aufmerksam betrachtet. »Welch eine Genugtuung muss es sein«, ruft er, »das zu besitzen, was allein der Vatikan sein Eigen zu nennen glaubt.«
Der Regent nickt bei den Worten seines Neffen zustimmend. Katharina findet ihn dicklich und teigig, wie ein nicht ausgebackenes Brötchen.
»Und ganz besonders die Wahl der Themen«, fährt der König fort. »Welch ein Vergnügen, Kunst zu betrachten, die den Verstand so tief in die Schönheit spiritueller Transformation einführt!«
Diesen Worten folgt ein direkter, ernster Blick. Dieser Prinz wird nicht katzbuckeln. Oder sie mit unaufhörlicher Schmeichelei verärgern.
Hinter den Türen des Diamantsaals macht sich ungeduldig der Hofstaat bemerkbar, der es nicht erwarten kann, einen ersten Blick auf die Gäste zu werfen. Die Stimmen schwellen an und ab, verstummen kurz, um dann in ein Summen vorgetäuschter Gleichgültigkeit zu fallen. Doch bevor sie sich in die Empfangshalle begibt, weist sie noch auf die Glasvitrinen und den Riesenrubin in ihrem Zepter. »Von der GröÃe eines Hühnereis«, sagt sie mit einem spitzbübischen Lächeln. »Ich erwähne das nur, weil der verstorbene Vater Ihrer Majestät ihn mir bei seinem letzten Besuch verehrte. Er hatte da noch keinen Sohn, und ich hatte noch keine Enkeltöchter, aber es war damals sein Wunsch, dass sich unsere Häuser eines Tages verbünden möchten.«
Sieht sie da eine leichte Röte auf Gustav Adolfs Wangen?
»Doch bevor wir weitergehen, muss ich ein Geständnis machen«, fährt sie fort. »Unglücklicherweise ist meiner ältesten Enkelin Alexandrine ihr geliebter Hund entlaufen. Sie müssen also verzeihen, wenn sie vielleicht ein wenig abgelenkt und traurig wirkt. Es hat nichts mit Ihnen zu tun, obwohl ich fürchte,
dass Sie womöglich ungewollt die Ursache für den unglücklichen Vorfall sind.«
»Ich, Majestät?«
»Meine Enkelin gibt sich selbst die Schuld, dass ihr Hund weggelaufen ist. Sie war in Gedanken zu sehr mit dem heutigen Ball beschäftigt, den wir, wie Sie wissen, Ihnen zu Ehren geben. Das Kind hat den ganzen Tag geweint.«
»Zeichen eines empfindsamen Herzens«, sagt der König.
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Katharina klatscht in die Hände, und die Türen des Diamantsaals öffnen sich weit. Sie wendet sich dem König zu, der sich prompt an ihre Seite begibt und Platon dadurch zwingt, zurückzuweichen. Sie stützt sich auf Gustav Adolfs Arm und erhebt sich. Ihre Schritte sind
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