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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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bedächtig, aber entschlossen; sie ignoriert die Schmerzen.
    Platon schaut sich selbst in dem silbern gerahmten Spiegel an. Rasch, als müsste er sich vergewissern, dass er noch da ist.
    Im Audienzsaal warten die Höflinge. Als die Kaiserin vorbeigeht, ruhen alle Augen auf ihr, bemessen ihren Anteil an empfangener Aufmerksamkeit, erwägen, wie hoch sie gestiegen, wie tief sie gefallen sind. Ist ihnen eine volle Begrüßung zuteil geworden? Oder nur eine Neigung ihres Haupts? Oder nichts als ein tröstendes Lächeln? Wenn sie an ihnen vorbeigeschritten sein wird, werden sie einander drängeln und stoßen, werden jene, die verloren haben, wegschubsen, kostbare Zentimeter Raum für sich beanspruchen und auf alle achten, die ihnen den wieder streitig machen wollen.
    Und so beginnt die Parade in ihrer ganzen funkelnden Pracht. Das Gewusel der Familie. Sohn: der knollennasige Paul in seiner Preobraschenski-Uniform, in steifer Habachthaltung. Schwiegertochter: Maria Fjodorowna, plattgesichtig, mit breitem Hintern, immer noch geschwächt von der letzten Schwangerschaft, auf seinen Arm gestützt. Lassen wir die beiden. Die Anmut mag eine Generation übersprungen haben, aber ihre Enkelkinder
hat sie beschenkt. Rechts von ihnen der schneidige Alexander mit seiner Elisabeth. Und links Konstantin mit seiner Anna. Dahinter Alexanders neuer Freund, Prinz Adam, dessen besticktes Wams die Farbe reifer Pflaumen hat. Von ihm behauptet Besborodko, er sei »womöglich zu ernst«. Falls man die Neigung, zu lesen und mit Alexander über Bücher zu sprechen, für einen Fehler halten will.
    Und dann die Mädchen! Drei Enkeltöchter, als Gruppe, ihre jungen Gesichter wie ein erster Frühlingshauch. Alexandrine steht in der Mitte. Ein Reif aus Rosen schmückt ihre Stirn. An ihre Brust geheftet, ein Porträt ihrer Großmutter, mit funkelnden Steinen im Rahmen. Der weiße Musselin ihres Unterkleids wird hervorgehoben durch das kostbare rosafarbene Gewand, das mit goldener Spitze besetzt ist. Sie hat die Hände vor der Brust gefaltet, die Augen niedergeschlagen. Eine jungfräuliche Feenprinzessin, die ihr Schicksal erwartet.
    Der König verbeugt sich errötend vor den Großfürstinnen. Er kann den Blick nicht abwenden. Luise von Mecklenburg wird nicht mehr sehr lange verlobt sein.
    Alexandrine hebt leicht ihr Kinn. Ihr rasches, verstohlenes Hochschauen verdient einen anerkennenden Blick und ein ermutigendes Lächeln. Der König sagt etwas zu Alexandrine, hält inne, wartet auf ihre Erwiderung. Er sollte weitergehen, doch er tut es nicht, stellt weitere Fragen. Alexandrine beantwortet sie offenbar zu seiner Zufriedenheit, denn er macht keine Anstalten, sich von ihr zu lösen. Schließlich greift Alexander ein, erwähnt, dass der Hofstaat darauf wartet, vorgestellt zu werden – die stets übereifrige Madame Lebrun hat sich natürlich schon wieder vorgedrängt. Der König verneigt sich erneut und bittet um Verzeihung, indem er die Hände faltet. Alexandrine lächelt und zeigt mit einem Nicken ihr Verständnis für seine königlichen Verpflichtungen.
    Schüchterner Charme ist ebenso machtvoll wie ein brillanter Geist.
    Â»Er ist unser«, flüstert sie Le Noiraud triumphierend ins Ohr, als er sich zu ihrer bequemen Ottomane hinunterbeugt, von der aus sie den Fortgang des Abends beobachten wird. »Er ist ihr bereits verfallen.«
    Als sie Alexander bat, den Gastgeber zu spielen, zuckte ihr Enkelsohn zusammen, als hätte ihn eine von der Näherin in den Falten seines Hemds übersehene Stecknadel gepiekst. »Wäre das Papa nicht außerordentlich unrecht?«, fragte er. Doch jetzt ist Alexander nur noch charmant, und Elisabeth an seiner Seite glänzt in Elfenbeinweiß und Safran. Das Kleid ist allerdings zu eng geschnürt. Elisabeth sollte an Mutterschaft denken, nicht an Eitelkeit. Dass sie es nicht tut, ist genauso schlimm wie die exzessive Melancholie, von der sie in ihren Briefen nach Hause berichtet: Jeder neue Kummer ist wie ein Tropfen Tinte, der in ein Glas Wasser fällt und etwas, das vorher klar war, schmutzig-grau macht.
    Gustav Adolf bewegt sich geschmeidig von einer Höflingsgruppe zur nächsten. Von ihrer Ottomane aus kann Katharina sein mildes Kopfnicken, seinen eleganten Schritt verfolgen. Seine Gesten verraten kein Zögern, keine Schüchternheit. Nackt muss er marmorn wirken, glatt und kräftig.

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