Die Zarin der Nacht
plündern. Soll das um nobler Ideale willen gestattet sein? Was hätte man denn von noblem Scheitern?
Und auÃerdem ist Russland nicht ein neues Land, so wie Amerika. Russland ist eher wie Frankreich, und du kannst doch nicht gutheiÃen, was dort geschieht?«
Mit diesem Argument hat sie gewonnen. Das erkennt sie daran, dass ihr Enkel die Schultern sinken lässt und leicht mit dem Kopf nickt.
»Denk an Pugatschow, Alexander. Du könntest sagen, das sei zwanzig Jahre her. Du warst da noch nicht einmal geboren, aber denk an all das vergossene Blut. Das ist tatsächlich geschehen. Es kann wieder geschehen. Diese weisen und leidenden Bauern können sich wieder in einen blutrünstigen Pöbel verwandeln. Und mich und dich an die nächste Laterne hängen.«
Ihre Stimme gleitet flüssig dahin. Sie bewegt sich auf sicherem Boden. »Es ist besser, wenn ein Zar für intolerant und
grausam gehalten wird, als dass sich solch eine Tragödie wiederholt.«
Sie lächelt, zufrieden mit ihren Worten. So hatte sie es sich vorgestellt, als er noch ein zahnender Säugling war. Dass er bei ihr Rat sucht. Dass er ihren Argumenten lauscht. Seine eigenen vorbringt, ihr, wenn nötig, widerspricht. Sich seine eigene Meinung bildet. Seinen eigenen Weg sucht.
Manchmal dauert es viele Jahre, bis ein Traum sich erfüllt. Aber wie wundervoll, wenn es dann wirklich geschieht.
Was hat sie für Pläne mit ihm! Für die nächsten Jahre! Tägliche Konferenzen wie diese werden fortgesetzt und mit der Zeit immer ernster werden. Er wird zusehen, wie sie Entscheidungen trifft. Ihre Ratgeber befragt. Deren Berichte analysiert, aber immer ihre eigenen Schlüsse daraus zieht. Alexander wird schnell lernen. Wenn er nicht bei ihr ist, wird Besborodko über ihn wachen. Ihn ebenfalls in die Kunst der kaiserlichen Geschäfte einweihen.
Sehr wichtige Angelegenheiten werden allerdings bis zur offiziellen Bekanntgabe der Nachfolge warten müssen. Jetzt ist es klüger, Alexander die Liste mit Geschenken zu zeigen, die Alexandrine mit nach Schweden nehmen wird. Eine sorgfältig ausgearbeitete Liste, betont sie, ein Dokument russischer Errungenschaften. Porzellan aus der Kaiserlichen Porzellanmanufaktur, Silber aus Tula, Strümpfe aus Seide von der Krim, die so fein sind, dass sie in eine Walnussschale passen.
»Unsere Alexandrine wird den Kopf hoch tragen am schwedischen Hof«, sagt sie mit einem leisen, triumphierenden Lachen.
Ihre Erregung steckt an. Auch Alexander hat etwas beizutragen. Er kennt einen Leibeigenen, der Maler ist und den Winterpalast so geschickt wiedergegeben hat, dass man jeden Riss in der Wand sieht. Solch ein Gemälde wäre doch ein wunderbares Geschenk für seine Schwester. Alexandrine könnte es jedes Mal anschauen, wenn sie Heimweh hat.
Sie arbeiten gemeinsam, Seite an Seite.
Als es Zeit ist für Alexander zu gehen, öffnet Katharina die Schublade ihres Sekretärs und holt ein besticktes Satinsäckchen heraus. Darin ist eine Schnupftabaksdose, den Deckel schmückt eine Gemme mit einer Biene, die den Bienenstock verlässt, um eine Blüte zu befruchten.
»Die ist für dich, Alexander«, sagt sie. »Ich möchte, dass du immer an mich denkst, wenn du sie in der Hand hältst. Und dass du nie die folgenden Worte vergisst: Was hat es für einen Zweck, sich zu empören, wenn sich das, was einen empört, reparieren lässt?«
*
Die schwedischen Darstellungen sind chaotisch, erklärt Besborodko in seinem Bericht. Der Regent stellt Dinge falsch dar, um seine Feinde zu verwirren, weià aber oft selbst nicht mehr, was stimmt und was nicht. Ein Augiasstall, und ich sehe noch keinen Herkules!
Gustav Adolf hat die erstaunlichen Fähigkeiten seines Onkels bis jetzt noch nicht bemerkt. Er sitzt Katharina im kaiserlichen Arbeitszimmer gegenüber und beschreibt seinen Besuch in Gatschina. Der junge Mann spricht so beschwingt und angeregt, dass Pani ihr Samtkissen verlassen hat und ihn aufmerksam betrachtet.
»Die Spiele, Madame, waren höchst faszinierend«, sagt der König. Besonders habe ihn der Erinnerungswettkampf begeistert, den Maria Fjodorowna vorschlug. Man wirft einen kurzen Blick auf ein Tablett mit allerlei Objekten und versucht danach, so viele wie möglich aufzuzählen. Es sei ein Lieblingsspiel all ihrer Kinder, habe sie erklärt.
»Und wie haben Sie sich geschlagen, Monsieur?«, fragt
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