Die Zarin der Nacht
richtig verstanden hat.
Er verneigt sich.
Die Tür wird geschlossen, und sie ist wieder allein. Pani kehrt auf ihr Kissen zurück, dreht sich ein paar Mal um sich selbst, ehe sie sich zu ihrem Mittagsschläfchen niederlässt.
Der arme Gustav Adolf, noch gar kein richtiger König und schon zerrissen zwischen dem, was er sich wünscht, und dem, was möglich ist. Verlangt sie denn wirklich zu viel? Sind Dogmen nicht seit jeher angefochten worden? Wein oder Blut? Fleisch oder Oblate? Ein einziger Gott als Dreifaltigkeit oder drei Gottheiten in einer? Ein Lied von Leid und Liebe oder eines von Zorn und Verdammnis?
Ist Religion denn nicht nur eine unvollkommene Ansicht über das, was sich letztendlich nicht wissen lässt? Ãndert sie sich nicht im Laufe der Zeiten? Und mit den Umständen? Wo waren denn die Lutheraner vor Martin Luther? Die Calvinisten vor Calvin?
Akzeptiert man nicht besser, dass es einige Dinge gibt, die wir niemals verstehen werden, und kümmert sich um das, was man ändern kann?
Und dann fragt sie sich, was wohl aus dem Spazierstock geworden ist, den sie Gustav Adolfs Vater (Cousin Gu nannte sie ihn) geschenkt hat, als er zum ersten Mal nach Sankt Petersburg kam, 1783. Er war ein Cousin ersten Grades mütterlicherseits. Der Knauf des Stocks bestand aus einem einzigen Diamanten im Wert von 60 000 Rubel.
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Sobald Gustav Adolf gegangen ist, betritt Le Noiraud ihr Arbeitszimmer. Seine schwarzen Augen sind blutunterlaufen.
Wischka sagt, er habe einen seiner Pagen damit beauftragt, die Besuche des Königs zu überwachen. Von ihr hört Katharina auch, dass ihr Liebhaber nicht schlafen kann. »Wir sind so wenig selbstbewusst«, bemerkt sie mit einem säuerlichen Lächeln. »Ein bisschen Eifersucht hätte uns wirklich gutgetan.«
Le Noiraud setzt sich nicht, sondern marschiert auf und ab. Und hinterlässt bei jedem Schritt eine deutliche Wolke aus Moschus und Mandelöl. Viel zu intensiv, aber jetzt ist nicht der richtige Moment, auf so eine Bagatelle hinzuweisen.
Er bleibt vor dem Kamin stehen, als wollte er die chinesische Vase bewundern, dann die Porzellanfiguren, die sie nebeneinander aufgestellt hat: eine Zwiebelverkäuferin, einen Fischer, einen Flickschuster. Alte Geschenke des preuÃischen Königs, die ihr immer noch lieb sind. Die Zwiebelfrau sehe aus wie eine Hexe, hat Grischenka stets behauptet.
Mit seiner Rastlosigkeit und seinem Schweigen will Platon sie zwingen, nach dem Grund zu fragen. Ebenso mit der einstudierten Pose vor dem Kamin â sein Ellbogen ruht auf dem Marmor. Er weiÃ, dass seine schöne Gestalt so am besten zur Geltung kommt. Seine umwölkten Augen verdunkeln sich weiter.
»Hat Gustav Adolf sich erklärt?«, platzt er endlich, geschlagen, heraus.
»Beinahe«, sagt sie.
»Was ist passiert?«
»Ich möchte ihn nicht drängen. Junge Neigung ist warm, aber nicht stabil â¦Â«
Le Noiraud nickt eifrig, ein Schüler, der seiner Lehrerin zu gefallen weiÃ. »Dann muss es ihm eben entlockt werden, mit etwas Nachhilfe.«
Als sie lacht, eilt er an ihre Seite und kniet neben ihr. Sein Kopf wiegt schwer, denn er drückt ihn ihr mit echter Verzweif
lung in den SchoÃ. Und ist das Lachen oder Schluchzen, was sie da hört?
Sie hebt seinen Kopf. Sein nasses Gesicht ist mit Rouge verschmiert.
»Was ist mit meinem dummen Jungen?«, fragt sie.
Die Wärme in ihrer Stimme lässt ihn schmelzen. »Ich bin nichts, Katinka«, murmelt er. »Du lachst über mich.«
Sie braucht nicht zu fragen, wer der Grund für Le Noirauds Verzweiflung ist. Die Hierarchie hat viele Stufen, und einige sind offensichtlicher als andere. Alexander Andrejewitsch Besborodko ist der Schuldige. Grischenka nannte ihn ein Genie und einen Freund, doch in Platons Augen zählt allein die demonstrative Gleichgültigkeit seiner Person gegenüber. Der kaiserliche Minister hält den kaiserlichen Favoriten nicht für einen würdigen Gegner.
»Ich bin dir nicht von Nutzen. Du brauchst mich nicht. Nichts, was ich tue, ist überhaupt irgendwie von Belang. Ich bringe dir Neuigkeiten, und du ignorierst sie ⦠Gib mir eine Chance, Katinka«, sagt er. »Lass mich etwas Wertvolles tun. So wie mein Bruder.«
Man lässt Platon lieber nicht länger bei Valerians jüngsten Eroberungen, seinem glänzenden Ruf nach dem polnischen Feldzug, verweilen. Die Brüder
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