Die Zarin der Nacht
fährt sie fort. »Körperliche Betätigung, begleitet von anregenden Gesprächen, ist die beste Medizin.«
»Es war mir eine Ehre, die Bekanntschaft des GroÃfürsten machen zu dürfen«, sagt der Prinz.
»Sie sind nun schon ein ganzes Jahr bei uns. Und ich habe nur Gutes über Sie gehört. Sie, Monsieur, sind ein Leser, was mich mehr beeindruckt als alles andere. Sie interessieren sich für Ideen. Sie möchten alles, was Sie noch nicht wissen, lernen. Ihre Mutter sollte stolz auf solch einen Sohn sein!«
Prinz Adam hebt den Blick, und seine blaugrauen Augen funkeln. Vor Belustigung? Vor Angst? Befürchtet er, dass die russische Kaiserin ihm eine Falle gestellt hat?
»Doch ich habe Sie nicht deshalb hergebeten«, sagt sie nun mit einem wohlwollenden Lächeln. »Ich möchte Sie um Ihre Hilfe bitten.« Sie sagt nicht: »Aus Dank dafür, dass ich Ihrer Familie die Bettelanfragen verzeihe.« Solch platte Direktheit ist nicht nötig.
»Wie kann ich behilflich sein, Ihre Majestät?«, fragt er mit seiner Höflingsstimme.
»Ich mache mir Sorgen wegen Alexander.«
Sein Gesicht erstarrt wieder. Er ist wirklich allzu vorhersehbar.
»Was ich sagen möchte«, fährt sie fort, »möchte ich unter dem Siegel äuÃerster Vertraulichkeit sagen. Kein einziges Wort dieser Unterhaltung darf jemals nach auÃen dringen. Wir sind beide aufgeklärte Menschen. Ich werde Sie nicht dazu zwingen, auf die Knie zu fallen und mir bei der Heiligen Jungfrau Verschwiegenheit zu schwören. Aber ich werde Sie um Ihr Ehrenwort bitten.«
Er nickt, flüstert sein Einverständnis.
Nun, da sie sein Ehrenwort hat, beginnt sie: »Es gibt keine schonende Art und Weise, es zu sagen, darum lassen Sie mich kurz und direkt sein. Mein Enkel Alexander wird meine Nachfolge antreten. Ãber den Kopf seines Vaters hinweg. Zu den Gründen werde ich mich nicht weiter äuÃern. Sie sind ein intelligenter junger Mann, und Sie haben selbst genug gesehen. Es wird besser für Russland sein. Was auch Sie und Ihre Familie einschlieÃt, denn Russland ist jetzt Ihr Heimatland.«
Sie hält inne. In Prinz Adams Gesicht zeichnet sich eine vollständige Veränderung ab. Es geschieht nicht oft, dass man zusehen kann, wie so viel fröhliche Hoffnung sich unter einer Maske der Wachsamkeit hervorkämpft.
Die Worte flieÃen ihr über die Lippen, jedes ein Juwel. »Alexander versteht es. Sein kluger Verstand akzeptiert meine Argumente, doch sein Herz ist beunruhigt. Er fürchtet sich davor, Schmerzen zu verursachen. Er hat Angst, die Hoffnungen seines Vaters zu zerstören.«
Prinz Adam nickt eifrig. Was hatte er in sein Tagebuch geschrieben? Welchen Beweis brauche ich noch, um zu glauben, dass die Herrschaft der Tyrannei keine Zukunft hat? Dass das Ende der Ungerechtigkeit naht!
»Sprechen Sie das Thema nicht als Erster an«, fährt sie fort, »aber wenn mein Enkel Ihren Rat suchen sollte, wie verschlüsselt auch immer, beruhigen Sie ihn. Sagen Sie ihm, wie wichtig es für ein Land ist, mit der Weisheit und dem Mut regiert zu werden, über die er verfügt. Sagen Sie ihm, dass die Pflicht eines Sohns gegenüber seinem Vater nicht gröÃer ist als die eines Kronprinzen gegenüber seinem Land.«
Sie redet noch eine Weile weiter. Ãber Freundschaft und ihre Pflichten. Ãber die Notwendigkeit, Hilfe zu offerieren, wenn sie gebraucht wird. »Ich weiÃ, Sie teilen meine Einschätzung der Tugenden meines Enkels. Seines Verstands und seines Herzens.«
Wieder nickt er. Ein Lächeln erscheint und verwandelt sich in Ernst. Ihr junger Gast braucht Zeit, um seine Gedanken zu sammeln, seine überschwängliche Freude zu verbergen.
»Kaiserliche Hoheit können sich auf meine Hilfe verlassen«, erklärt er feierlich, als legte er ein Mönchsgelübde ab.
»Mein Dank ist Ihnen sicher«, sagt sie.
Alles, was ihr jetzt noch zu tun bleibt, ist ein leichter Wink mit der Hand. Ein Lächeln. Ein paar Worte der Entschuldigung. Sie hat leider keine Zeit mehr. Das Reich ist ein strenger Zuchtmeister.
Der Prinz verneigt sich und geht zur Tür mit dem elastischen Schritt eines jungen Mannes, dessen Gebete erhört wurden.
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Später am Tag nimmt sie die wachsende Flut von Papieren in Angriff. Verträge, Petitionen, Listen mit Besitzansprüchen, die sie bestätigen soll. Alle erfordern
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