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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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verstorbenen Vaters. Meine eigenen Zeichnungen und die meiner Töchter, alle datiert und geordnet.
    â€ƒ Ich fand aber auch seltsame, unordentliche Blätter in Mamas Handschrift, die ihr, wie sich herausstellte, als eine Art Gedächtnisstütze gedient hatten. So als hätte sie versucht, die Dinge festzuhalten, die ihr am wichtigsten waren. Ich habe eine Tochter, Darja, und zwei Enkelinnen: Barbara und Aniela. Meine russische Zofe Mascha, die mit mir aus Sankt Petersburg kam, ist tot. Ich habe sie in Warschau neben meinem kleinen Bruder begraben lassen.
    â€ƒ Und zwischen diesen seltsamen einzelnen Zetteln fand ich auch zwei Botschaften in der Handschrift Ihrer Majestät, die ich gerne zurückschicken möchte. Ich habe keine Ahnung, wie sie in den Besitz meiner Mutter kamen. Sie sind adressiert »An meine Sophie, ihr persönlich auszuhändi
gen«. Das Siegel ist erbrochen, sie wurden also gelesen, und ich weiß nicht, wieso meine Mutter sie nicht übergeben hat. Oder vielleicht tat sie es auch und wurde gebeten, sie zu beseitigen, und hat sie dann aus irgendwelchen Gründen behalten.
    â€ƒ Die Antworten auf diese Fragen hat sie mit ins Grab genommen, und wenn sie gesündigt hat, dann wird sie in einer anderen Welt dafür Buße tun; es ist nicht an mir, sie zu verurteilen. Alles, was ich sagen möchte, ist, dass sie irgendwann selbst über diese Botschaften gerätselt haben muss, denn auf einem der beiden Zettel fand ich die von ihr selbst hingekritzelte Bemerkung: »Wer ist Sophie? Ich kenne sie nicht.«
    Â 
    Der Brief geht noch weiter, aber Katharina legt ihn hin. Ihre Hände zittern, ihre Augen jucken.
    Warwara Nikolajewna.
    Tot.
    Leb wohl, meine Freundin, denkt sie.
    Schmerzliche Gedanken verfolgen sie. Warwara in einem hellblauen Gewand, wie sie, Darja an der Hand, rasch den Palastflur entlangeilt. Ein Wirbel aus Blau und Weiß. Perlendes Gelächter, das einige kostbare, sorglose Minuten verspricht. Wie sie stehen bleibt, eine Katze hochnimmt, ihr etwas ins Ohr flüstert.
    Wann begannen die Dinge schiefzulaufen?
    Ich bitte Ihre Majestät, mich aus dem kaiserlichen Dienst zu entlassen.
    Â»Nicht alle Freunde nehmen einen Aufstieg gut auf«, sagte Wischka, als Warwaras Brief damals, vor so langer Zeit, kam. »Vielen fällt es leichter, zu bedauern als zu bewundern.«
    Ich denke noch gern an jene Tage … als ich mit Großfürst Paul in den Fluren des Winterpalasts spielte … Woran erinnert ein Kind sich nach so vielen Jahren?
    Ein kränklicher Junge, zimperlich, zu Koliken neigend und so schnell zu ängstigen?
    *
    Am 11. September, dem Tag der Verlobung, herrscht Chaos. Boten eilen hin und her, Pagen melden die jeweils zuletzt eingetroffenen Personen. »Jeder will Majestät sehen«, klagt Anjetschka und weist die endlosen Bitten um eine Audienz ab.
    Die Geräusche der hektischen Vorbereitungen dringen bis in Katharinas Arbeitszimmer. Kutschen rollen in den Hof des Palasts, Dienstboten rufen den Lieferjungen Befehle zu. Alexandrines Verlobung mag eine private Zeremonie sein, doch die ganze Stadt ist in heller Aufregung. Schon sammeln sich Menschen vor dem Winterpalast in der Hoffnung, einen Blick auf die schwedischen Besucher werfen zu können.
    Resigniert schiebt die Kaiserin die ungelesenen Berichte beiseite und klingelt nach Sotow. Er soll ihr den Rollsessel bringen.
    In ihrem Ankleideraum warten die Zofen, der Coiffeur und die Näherin. Das kaiserliche Gewand liegt ausgebreitet da, eine mit schweren Goldfäden bestickte elfenbeinfarbene robe ronde . Eine Hofdame hält ihr ein schwarzes Samtkissen mit Ketten und Ohrringen zur Auswahl hin. Im Zimmer riecht es nach Orangenblüten, Mandeln und einer ganzen Reihe weniger intensiver Düfte aus all den offenen Gläsern mit Pomaden, Cremes und Puder.
    Die kleine dienstbare Armee wird mindestens zwei Stunden brauchen, um Katharina für den Abend herzurichten.
    Anjetschka und Wischka sind schon jetzt nervös. Miss Williams hat fragen lassen, was sie bloß machen soll: Alexandrine lehnt jegliches Rouge auf ihren Wangen ab. Und Maria Fjodorowna hat ihren Pagen mit der Bitte um etwas silberne Spitze geschickt, weil ihre in der Kutsche zerrissen sei. »Würde Majes
tät so freundlich sein und einen Blick auf diese Muster werfen?«
    Â»Herrscherglanz ist harte Arbeit«, erklärt sie Sotow, während er ihr aus dem Rollsessel hilft und sein

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