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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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tonloses »In der Tat, Madame« murmelt.
    Die Näherin hat genügend Vorrat an Silberspitze, um den ganzen Saum von Maria Fjodorownas Kleid zu erneuern. Miss Williams wird mitgeteilt, Alexandrine dürfe an ihrem großen Tag selbst entscheiden.
    Es ist vier Uhr, als sie Le Noirauds wütendes Flüstern vernimmt. »Er will es mit Ihnen persönlich besprechen«, meldet Anjetschka.
    Ihr Gesicht ist mit einer Paste aus zerstoßenen Gurken und Honig bestrichen; auf ihren Augen liegen Kamillenkompressen. Die Garderobenzofe, die gerade ihr Haar bürstet, tritt beiseite.
    Â»Der König? Was will er besprechen?«, fragt Katharina und entfernt die Kompressen.
    Â»Das habe ich auch gefragt«, erwidert Le Noiraud. Seine Finger trommeln auf ihre Stuhllehne. Er sagt etwas von sturer Dummheit, die jeder Vernunft widerspricht . Und dann: eine Verschlagenheit, die er nicht versteht.
    Nach und nach gelingt es ihr, sich ein Bild über die vergangenen vier Stunden zu machen, auch wenn es immer noch keinen richtigen Sinn ergibt. Die Generalbevollmächtigten trafen sich, um den Vertrag zu unterzeichnen. Anfangs schien alles in Ordnung, bis Le Noiraud die Seite mit dem Passus, der Alexandrine die Freiheit der Religionsausübung garantiert, nicht finden konnte. »Der König hat sie an sich genommen«, sagten die Schweden auf die Frage, warum die Seite fehle. »Seine Majestät möchte den Passus persönlich mit der Kaiserin besprechen.«
    Â»Jetzt?«, fragt Katharina. »Warum hat er nicht gestern darüber sprechen wollen?«
    Le Noiraud antwortet nicht auf ihre Frage. »Ich sagte ihnen, für Diskussionen sei es zu spät«, erklärt er. »Deshalb wollen sie den Vertrag erst einmal ohne diesen Passus unterschreiben.«
    Die Nervosität in seiner Stimme alarmiert sie. Es muss mehr an der ganzen Geschichte sein. War er zu vertrauensselig? Zu beflissen, seine Sache gut zu machen?
    Das werde ich später aus ihm herauskriegen, entscheidet sie. Ihre ersten Gäste kommen bereits an. Ihr Haar muss noch gelockt, frisiert und gepudert werden. Sie ist erst halb angezogen, und ihr Mieder ist viel zu eng. Die Näherin muss es lockern, ohne die Gesamtsilhouette der robe ronde zu zerstören.
    Â»Wenn wir den Vertrag jetzt ohne den Passus unterschreiben, können wir ihn hinterher nicht mehr einfügen«, sagt sie. »Und genau darauf hoffen sie.«
    Das hätte er wissen müssen, ohne dass man es ihm sagt, aber sie schiebt den Gedanken beiseite. »Es handelt sich um eine List«, fährt sie fort. »Sie versuchen herauszufinden, wie viel man im letzten Moment noch herausschlagen kann. Wir müssen fest bleiben.«
    Erleichterung spiegelt sich in Le Noirauds Augen. Bevor sie ihn davon abhalten kann, küsst er sie auf die Wange und schnappt nach Luft. Jetzt sind seine Lippen mit der Gurkenmischung beschmiert.
    Â 
    Um sechs Uhr, ihre Toilette ist fast beendet, meldet Anjetschka, dass Alexandrine sich ihrer Großmutter gern zur Begutachtung vorstellen möchte.
    Sie gibt nickend ihr Einverständnis, doch als die Tür aufgeht, ist es Graf Morkow, der hereineilt und sich für sein Eindringen entschuldigt.
    Â»Ist aber notwendig, Madame«, keucht er. »Denn wir sind ratlos.«
    Funktioniert denn überhaupt nichts dieser Tage?, denkt sie. Worauf muss ich jetzt wieder gefasst sein? Schneemangel in
Sibirien? Ein weiteres Schiff mit meinen Waren, das auf den Meeresgrund gesunken ist?
    Anjetschka sieht ihre Herrin besorgt an. Wischka hält die Näherin zurück, die gerade entdeckt hat, dass etwas mit der robe ronde nicht stimmt, und mit einer Reihe Stecknadeln zwischen den Lippen anrückt. »Raus, alle miteinander! Und zwar rasch!«, befiehlt sie den Dienstboten.
    Graf Morkows Bericht ist kurz. Die letzten zwei Stunden haben keine Fortschritte in den Verhandlungen gebracht. Die Schweden bestehen darauf, dass der Passus über die Religion diskutiert werden muss.
    Â»Jetzt?« Sie stellt Morkow dieselbe Frage, die sie auch Le Noiraud gestellt hat. »Wieso wollte der König nicht gestern darüber reden?«
    Morkow blickt sie verwundert an. »Aber Madame«, sagt er. »Gestern hatte der König diesen Passus doch gar nicht.«
    Für einen Moment hört die Welt auf sich zu drehen, dann setzt sie wieder ein, wirbelt wie verrückt in einem unbegreiflichen Rhythmus. Blut steigt ihr in den Kopf. Kleine Glöckchen

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