Die Zarin der Nacht
Mühe mit dem Verschluss.
»Er wird in Ohnmacht fallen, wenn er dich sieht«, flüstert sie ihrer Enkeltochter ins Ohr. »Aber erzähl das nicht deiner Maman.«
Alexandrine kichert, die Wangen gerötet. Ihre jungen Augen funkeln, auch ohne Belladonna! Wie kostbar ist doch die Jugend. Und wie kurz.
Wieder öffnen sich die Türen, nun für die übrigen Romanows, die fröhlich lächelnd eintreten. Drei Generationen der kaiserlichen Familie. Ihr Sohn und seine Frau, ihre Enkelsöhne mit ihren Frauen und ihre Enkeltöchter. Sogar Baby Nikolaj ist dabei; fest eingewickelt schläft er in den molligen Armen seiner Amme.
Reverenzen werden erwiesen, Komplimente ausgetauscht. Das kaiserliche Gewand wird für exquisit erklärt; der elfenbeinfarbene Satin habe einen unglaublich kostbaren Schimmer, die Stickerei erinnere an raffinierteste Mosaiken. »Majestät werden uns alle überstrahlen«, stöÃt Elisabeth, Alexanders Frau, aufgeregt hervor.
Sie, die Kaiserin, wirft Alexander einen raschen, prüfenden Blick zu. Besborodko hat berichtet, ihr Enkel habe vergangene Nacht nicht sehr viel geschlafen. Er sei in seinem Schlafzimmer auf und ab gegangen. Habe zu schluchzen begonnen, versucht, es zu unterdrücken. Habe lange geschrieben und dann alle Seiten verbrannt und die Asche aus dem Fenster gestreut. Alexander leidet, aber Schmerz lässt sich nicht immer vermeiden. Er wird vorübergehen. Die Entscheidung, die er getroffen hat, wird ihn stärker machen. Er ist allerdings noch jung. Noch weich. Sie wird einige Tage lang sanft mit ihm umgehen müssen.
Maria Fjodorowna eilt auf Alexandrine zu, um sie zu umarmen und die Amethyste zu bewundern.
Paul räuspert sich und zieht ein gefaltetes Blatt aus seiner Brusttasche. »Weil später keine Zeit mehr dafür sein wird«, sagt er.
Ihr Sohn hat eine Rede vorbereitet, die er nun mit quälender Langsamkeit vorliest. Alexandrine wird ermahnt, tugendhaft und ihrem zukünftigen Gatten treu ergeben zu sein. Sich
ihm zu fügen. An ihre weiblichen Pflichten zu denken, ihre Gedanken rein und ihre Taten keusch zu halten.
Katharina fragt sich, wer das wohl für ihn aufgesetzt hat, denn die Worte flieÃen viel zu gefällig dahin, um von ihm zu stammen. Maria Fjodorowna? Die Rede hat tatsächlich etwas von ihrem sentimentalen Ãberschwang.
Alexander umarmt seine Schwester und flüstert ihr etwas ins Ohr. Sie nickt und umarmt ihn ebenfalls. Konstantin kneift Alexandrine in die Wange, worauf sie lachen muss. Jelena pflanzt ihr einen raschen Kuss auf den Mund. »Ich kann nicht glauben, dass du uns wirklich verlässt«, schluchzt sie. Maria fragt, ob sie mit nach Stockholm kommen kann. »Nur bis Weihnachten«, sagt sie. »Grandmaman ⦠bitte ⦠darf ich?«
»Du?«, neckt Konstantin. »Du weiÃt doch nicht mal, wie man einen Hofknicks macht!«
»Weià ich wohl!«
Paul legt die Hände auf Alexandrines Schultern und wiederholt die Ermahnungen, die er gerade vorgelesen hat. »Denk immer daran, meine liebe Tochter, dass du eine Frau bist. Widersprich niemals deinem Ehemann.«
Schon der Ton seiner Stimme ärgert sie. Wie kommt es nur, dass er so gar nichts von mir hat?, denkt sie und verdrängt rasch die Erinnerungen an das Grunzen ihres Ehemannes, das Betatschtwerden mit klammen Händen, jene wenigen erstickenden Momente, bevor sein verschwitzter Körper von ihr herunterrollte. Den widerlichen Geruch der Bettlaken, nach Wodka und ihm selbst, denn Peter verweigerte mit schon an Wut grenzender Vehemenz die Nutzung der banja . »Ich werde mich dieser monströsen Sitte nicht beugen. Du tust immer, was diese Russen wollen! Du bist schon wie sie, Sophie. Ohne mich.«
War Paul vielleicht doch Peters Sohn? Denn er hat so gar nichts von Sergej Saltykows gutem Aussehen. Nichts von seinem gefälligen Charme. Kann ein Kind tatsächlich keine Ãhn
lichkeit mit beiden Elternteilen haben? Oder stimmten etwa die alten Gerüchte? Hatte Elisabeth ihr Baby durch ein anderes ausgetauscht? Durch eines ihrer eigenen unehelichen Kinder vielleicht?
Paul ist fertig mit seinen Ermahnungen und macht einen Schritt auf Katharina zu, dann noch einen. Weià er, dass sie über ihn nachdenkt? Es scheint so, denn seine Haut rötet sich, er reckt seine Mopsnase im kläglichen Versuch, etwas gröÃer zu wirken. Sie sollte ihn zu sich vorlassen, ein paar
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