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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Einem Kind der Liebe, nicht der Untreue. Einer neuen Kaiserin.
    Â 
    Â»Sie haben mich immer gehasst, Mutter. Wenn ich einen Hund hätte, den ich liebte, würden Sie ihm einen Stein um den Hals hängen und ihn ertränken.«
    Da ist er wieder, derselbe alte Schmerz, der sie vor so vielen Jahren überfiel, ein Vorbote seiner Geburt. Kann der Körper sich erinnern? Daran, wie der Kopf des Kinds sie aufspaltet, ihr Fleisch zerreißt.
    Hände halten ihre Schultern, Lippen sprechen ein Gebet, das sie um Eile bittet. Ihr Kind gleitet aus ihr heraus. Reißt sie auseinander. Die Hebamme kniet zwischen ihren Beinen, um den klebrigen kleinen Körper entgegenzunehmen, der noch mit ihr verbunden ist.
    Ein Stöhnen. Das Aufblitzen einer Messerschneide. Ein Klaps, gefolgt von einem winzigen Schrei, eine bimmelnde Glocke. Die Gebete hören auf.
    Ihr Sohn, sein Kopf mit ihrem Blut beschmiert.
    Sie streckt die Arme nach ihm aus, versucht verzweifelt, ihn durch ihre schweißverklebten Augen zu sehen. Ihre Lippen hungern nach einem Kuss auf seinen nassen Kopf. Ihre Arme verzehren sich danach, ihn zu halten.
    Â»Leb«, drängt sie ihn. »Leb!«
    Â»Mein kostbarer kleiner Prinz«, zwitschert Elisabeth. »Du mein Eigen.«
    Als hätte er keine Mutter. Als wäre sie nur ein Schoß, ein Gefäß, das nach Belieben gefüllt und geleert wird.
    Und irgendwo dazwischen gibt es noch eine andere Erinnerung, die nicht vergehen will. Die Erinnerung an warme Hände, die ihr feuchtes Haar glätten, an Lippen, die Tröstliches flüstern. »Das ist nur für den Augenblick. Er ist sicher. Er wird leben. Ich werde auf ihn achten. Ihnen alles berichten.«
    Â 
    Warenka? Bist du auch hier? Man hat mir gesagt, du seist tot!
    Â 
    00.30 Uhr
    Denk nicht an Paul. Er ist nicht länger von Bedeutung.
    Â 
    In den Korridoren des Winterpalasts verfolgen stramme junge Männer sie mit den Augen, versuchen, sie für sich zu interessieren. Wirbelsäulen dehnen sich, Brustkörbe werden vorgestreckt, Säbel klirren. Ihre schmalzigen Liebesbriefchen tauchen zwischen den Seiten ihrer Bücher und unter ihrem Kissen auf oder sind am Halsband ihres Hunds befestigt.
    Manchmal spielt sie mit einem von ihnen, dem Kühnsten der Truppe. Lässt ihn in ihr innerstes Boudoir kommen, fragt ihn nach seinen Träumen. Achtet auf jenen ersten Kuss auf ihre Hand. Ist seine Berührung fest oder zittrig? Verweilt sein Mund, damit die Wärme seiner Lippen sich auf ihrer Haut verteilt, oder siegt die Hast? Versteht er es, das Vergnügen jenes ersten warmen vereinten Atems zu gewähren, ehe die Zungen sich umschlingen und die Augen sich schließen?
    Wenn ein Mann möchte, dass sie ihn nicht vergisst, muss er sich etwas Besonderes einfallen lassen.
    Aber Lust ist nicht alles. Werden seine ersten Worte, wenn die Leidenschaft vorüber ist, sie überraschen? Wird er ihr das abgedroschene Bekenntnis einer lang verheimlichten Liebe ersparen? Die Anspielungen auf unsterbliche Göttinnen und jene jungen Männer, die sie anbeteten? Adonis, Endymion, Phaeton?
    Das Schlafzimmer ist sparsam beleuchtet, das Licht wirft weiche Schatten.
    Er ist hier, nackt in ihrem Bett, liegt auf dem Bauch, den Kopf auf seinen Armen. Er riecht nach der banja, nach zerstampften Birkenblättern, nach Haut, die durch Dampf gereinigt wurde. Sie fährt mit dem Finger an seiner Wirbelsäule entlang, über seinen wohlgeformten Hintern, beugt sich dann über ihn und wiederholt den Weg mit der Zunge.
    Und dann wartet sie.
    Â 
    Eine Erinnerung kommt, über die sie kichern muss: Sie steht im Ballsaal des Palasts hinter einer dicken Marmorsäule, das Gesicht hinter einer schwarzen Maske verborgen. Unter dem lose fallenden Domino-Umhang ist ihre Verkleidung zu erkennen, die mit Rot abgesetzte grüne Jacke der Preobraschenski-Uniform und die makellos glänzend polierten hohen Stiefel.
    Ihr Körper genießt die Befreiung von Reifröcken und engen Miedern. Kein Gestänge, keine sperrigen Stofffalten, keine Walfischknochen, die sich in den Magen bohren. Es wäre so viel besser, als Mann geboren zu sein. Immer Hosen und enge Jacken tragen zu können. Sich mit leichtem, entschlossenem Schritt zu bewegen.
    Die Frauen im Ballsaal flattern umher wie Riesenschmetterlinge, schleifen mit den Säumen ihrer raschelnden Gewänder über den Boden. Der animalische Schweißgeruch ist stärker als der

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