Die Zarin der Nacht
Arm kann stumm gestreift werden.
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Stell dir vor, was ich denke. Stell dir vor, was ich dir sagen werde. Stell dir vor, was ich tun werde.
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Als der Tanz zu Ende ist, hält D. zögernd inne. Genügend Zeit, um ihren seidenen Handschuh herunterzuziehen und ihr die weiÃe, schlanke Hand zu küssen. Genügend Zeit, um mit leiser, glutvoller Stimme zu murmeln: »Was bin ich für ein glücklicher Mann. Sie haben mir die Ehre erwiesen, mir Ihre Hand zu reichen. Ich bin auÃer mir vor Freude.«
Ein Fehler.
Die Hand wird zurückgezogen. Der Fächer fällt auf den Boden. Schwanenhaut mit Pfauenfedern.
»Sind Sie nicht vielleicht ein wenig zu forsch, Maske? Haben Sie vergessen, dass ich Sie überhaupt nicht kenne?«
Es bleibt keine Zeit für eine Antwort, denn D. ist gegangen.
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Ist alles verloren? Aber warum dann in solcher Hast entschwinden? Und warum den Fächer fallen lassen? Um meine Entschlossenheit zu prüfen? Um dafür zu sorgen, dass ich folge?
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»Nur ein Wort, Fürstin, ich bitte Sie!« Der Korridor des Palasts ist leer bis auf die Kammerzofen, die mit Pelzmänteln im Arm auf ihre Herrinnen warten. »Bitte. Haben Sie Erbarmen mit meinem Herzen.«
»Ich weià immer noch nicht, wer Sie sind, Maske.«
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Immer noch nicht?
HeiÃt das, Sie haben Erkundigungen eingezogen?
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»Ich bin Ihr ergebener Diener. Versuchen Sie es mit mir, und Sie werden sehen, wie gut ich Sie bediene.«
»Sie sind liebenswürdig, und Ihre Stimme klingt angenehm, Maske.«
»All das ist ein Tribut an Ihre Schönheit.«
»Finden Sie mich wirklich schön?«
»Unvergleichlich schön!«
»Bitte sagen Sie, wer Sie sind!«
»Ich bin ganz der Ihre.«
»Das ist schön und gut, aber wie lautet Ihr Name?«
»Ich liebe Sie und bete Sie an. Zeigen Sie mir, dass ich Ihnen nicht gleichgültig bin, und ich werde Ihnen meinen Namen nennen.«
»Ist das nicht allzu viel verlangt?«
Doch dem einmal hervorgerufenen Verlangen lässt sich nur schlecht widerstehen. Es gibt zu viele leere Zimmer im Palast, zu viele Gänge, die in verborgene Alkoven führen. In der Dunkelheit der Nacht brauchen Zärtlichkeiten, die gewährt werden, keinen Namen, keinen Stammbaum.
Es ist lustvoll, das Stöhnen der Hingabe zu hören. Es ist lustvoll, die bebende, feuchte Weichheit einer Frau zu fühlen. Es ist lustvoll, sich von ihr, die träge und verausgabt daliegt und nicht weiÃ, wer sie berührt hat, zu entfernen.
Für immer in die Irre geführt. Für immer verstört.
Für immer mein.
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2.05 Uhr
Ein parfümiertes kühles Tuch berührt ihre Haut, tupft den Schweià ab. Anjetschkas Hände zittern.
»Höchstens noch ein paar Stunden, kaiserliche Hoheit«, murmelt eine unterwürfige Stimme. »Ihre Majestät leidet nicht. Dafür sollten wir dankbar sein.«
»Geht«, befiehlt ihr Sohn. »Ihr alle.«
Eilige Schritte, die sich entfernen.
Die Augen ihres Sohns erforschen ihr Gesicht, ihren sich vorwölbenden Bauch unter der Decke. Aus seiner Nase kommt ihr eigener Geruch. Nach Urin und Galle.
Direkt neben ihr liegt ein Kissen. Weich, schmiegsam. Man braucht nur ein Mal zuzudrücken. Niemand wird es sehen. Sie kann sich nicht verteidigen. Ihr Körper ist nutzlos. Ihre Hände liegen leblos auf der Bettdecke. Ihre Zunge ist steif, hölzern. Selbst wenn es ihr gelänge zu schreien, wäre es wie ein Schrei in einer luftleeren Röhre.
Ihr Sohn ist über sie gebeugt, sie kann seine tabakgeschwärzten Zähne sehen.
Jetzt?
Ihr Herz klopft wie wild. Warmer Urin flieÃt in ihre Matratze. In ihrem Magen bildet sich ein Knoten. Hart und sauer.
Jetzt?
Ihr Sohn leckt sich die Lippen. Er schnaubt. Er räuspert sich.
»Du hast gesündigt, Mutter«, sagt er und richtet sich auf.
Erleichterung überwältigt sie. Wie ein Schauer, eine Flut. Er wird sie nicht umbringen. Er wagt es nicht.
»Gott wird dich strafen für das, was du getan hast ⦠niemals wieder wird eine Frau über Russland herrschen ⦠das schwöre ich.«
Ihr Sohn spricht schnell. Seine Stimme zittert. Mit Sätzen, die er immer wieder geübt haben muss, beschuldigt er sie, »die Krone usurpiert zu haben«, die rechtmäÃig ihm gehöre; »ihre illustre Stellung zu besudeln«, mit ihrem unmoralischen Ver
halten »Schande über
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